Bilder sprechen eine Sprache, für die man keinen Sprachkurs besuchen muss. Die Aussagen von Fotos oder Fernsehbildern werden oft mit „gewaltig“ und „beeindruckend“ beschrieben. Bilder, Malerei und Fotografie sind dem Begriff Kultur sehr nah – aber Comics? Mit Sprechblasen ergänzte, aussagestarke Zeichnungen, Informationen, transportiert in einer Kombination aus Text und Bild: Das mögen die Deutschen offensichtlich nicht. Micky Maus und Spiderman sind Kinderkram und nichts für den Informationsanspruch eines durchschnittlichen Erwachsenen. Erst seit wenigen Jahren erfreuen sich Comics für Erwachsene steigender Popularität – die „Graphic Novels“.
Eines der Ziele unseres Magazins ist die Kommunikation von Kultur(en) und die Überwindung von Verständigungsproblemen. Die Bildsprache der Comics kann dabei helfen. Mehrere Verlage haben Graphic Novels im Programm, in denen der Krieg im Nahen Osten, Flucht und Neuanfang verarbeitet werden.

Im Februar 2017 erschien die Comic-Reportage
„IM SCHATTEN DES KRIEGES“
(Reprodukt Verlag) von der US-Amerikanerin Sarah Glidden. Die Autorin begleitete 2010 ein unabhängiges Journalisten-Team in den Irak, zu den Kurden und nach Syrien. Nur wenige Wochen vor Ausbruch des Krieges in Syrien erlebte sie dort eine bizarre Stimmung. Auf Rückfrage von kulturTÜR bei einer Autorenlesung, ob sie denn spüren konnte, was bald folgen würde, erklärte sie ihre Irritation darüber, dass sie die Leute zwar von den zahlreichen Assad-Portraits überwacht, aber dennoch herzlich und freundlich erlebte. Niemand aber wollte mit ihr über Politik sprechen. Aus dem Irak-Krieg berichteten vorrangig sogenannte „embedded journalists“, also vom Militär beaufsichtigte Medienvertreter, aber viel zu wenig freie Schreiber. Sarah Glidden geht es um die Regeln und Grundsätze des guten Journalismus. Ihr wichtigstes Anliegen ist es, die Leser niemals zu täuschen. Und so kombinierte sie das Schreiben mit ihrem grafischen Talent und fand mit dem Format der Comic-Reportage ihre ganz eigene Form, professionell zu berichten und ehrlichen Journalismus zu machen. Was kann diese, was andere Reportageformen nicht können? „Ein großer Vorteil daran ist, dass man nicht ein 1-zu-1-Abbild zeigt, sondern eher ein Gefühl für ein Setting und den Charakter der Menschen vermittelt“, so Glidden. „Im Schatten des Krieges“ bemüht sich um eine Aufarbeitung des Irakkrieges, verdeutlicht aber ebenso, dass die Region schon damals weit vom Frieden entfernt war und eher einer geladenen Kanone glich.

Hamid Sulaiman (30) hat in seinem Werk
„FREEDOM HOSPITAL“
(Hanser Verlag Berlin, 2017) diese Geschichte weitererzählt. Er selbst ist laut eigener Aussage der einzige syrische Comic-Künstler. Comic ist in Syrien eine geächtete Form der freien Meinungsäußerung. 2011 musste Sulaiman wegen des Verbots seiner Kunst und seiner regimekritischen Arbeiten fliehen. Über Jordanien und Ägypten landete er bei Verwandten in Bielefeld. Seit 2012 lebt er in Paris.
In „Freedom Hospital“ werden in Schwarz-Weiß und ohne Graustufen blutrote (!) Bilder der Grausamkeiten des Krieges zwischen Assad, der Opposition, den Kurden, dem IS, der Türkei und den unterstützenden Großmächten dargestellt. Mitten in diesem „Alle-gegen-Alle“ betreibt ein kleines Team von Enthusiasten ein Untergrundhospital für verletzte Rebellen. Sulaiman stellt gleich zu Beginn eine Reihe von plakativen Charakteren vor. Es gibt Idealisten, Spitzel, radikalisierte Salafisten, traumatisierte Folteropfer, Überläufer, Aufgeber und Flüchtende. Die zeitliche Dimension kennzeichnet er durch die Angabe der Opferzahlen (z.B. „1698 Opfer später“). Seine Geschichte startet im März 2012 bei 40 000 Toten. Manchmal steigt die Zahl pro Stunde, an anderer Stelle zusammengefasst für drei Monate. In der Geschichte kommen keine Friedensbemühungen vor, keine humanitären Aktionen, keine NGOs; 2012 war überhaupt noch nicht klar, wem geholfen werden durfte oder sollte.
Als Leser kann man zwar versuchen, sich damit zu beruhigen, von alledem weit entfernt zu sein. Man ist es aber nicht: Alle im Buch dargestellten Waffensysteme werden mit Typ und Herkunftsland beschriftet. Tatsächlich verdient an diesem Krieg der internationale Waffenhandel – und damit unter anderem auch Deutschland.
Der italienische Comic-Künstler Zerocalcare thematisiert in seinem Werk
„KOBANE CALLING“
(Avant-Verlag Berlin, Mai 2017, italienisches Original: 2013) die Situation der syrischen Kurden im Kampf gegen den IS. Sowohl seine Zeichnungen als auch sein Erzählstil sind lustig – so wie Comic sein möchte – so wie der Inhalt der Geschichte es nicht ist. Zerocalcare macht sich nicht lustig über den Krieg. Dennoch wagt er den Spagat, genau denjenigen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, denen es vergangen ist und die es am meisten brauchen.
In der nordsyrischen Stadt Kobane leben Kurden. Sie war mehrmals von IS-Kämpfern umzingelt und konnte auch dank der US-amerikanischen Luftwaffe sowie deutscher Gewehre verteidigt werden. Gekämpft haben die Bewohner der Region jedoch selbst. Auch in „Kobane Calling“ wird versucht, komplexe Konflikte zu entwirren. Obwohl die Kurden keinen eigenen selbstverwalteten Staat haben, verteidigen sie in der Geschichte ihre Heimat mit beispiellosem Patriotismus. So wie der IS erfolgreich immer mehr Kämpfer unter anderen auch über türkisches Staatsgebiet einschleust, gelingt es auch den Kurden, auf diesem Wege Unterstützer ins Kampfgebiet zu schmuggeln. Andere wiederum versuchen zu fliehen. Besonders makaber ist eine Episode, in der ein Mann in Sichtweite zu seinem Haus vorerst in Sicherheit ist. Wütend ruft er gen Himmel, ein US-Bomber möge doch bitte sein Haus zerstören. Er wohne lieber in einem Zelt auf den Trümmern, als dass er es dem IS überließe.

Jeder Krieg ist grausam, seine Ursachen verworren. Dennoch haben alle kriegerischen Konflikte immer wieder die gleichen Begleitumstände. Der Australier Shaun Tan beschreibt dies in seinem Buch.
„EIN NEUES LAND“
(Carlsen Verlag, 2014), in dem er ein imaginäres Land mit fiktiven Menschen, Konflikten und Nebengeschichten darstellt. Hier findet sich all das wieder, was bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen gleich ist und was die Menschheit wider besseres Wissen nicht überwinden kann: Ein Regime drangsaliert seine Bürger, verfolgt Andersdenkende, zwingt Menschen zur Flucht vor Folter und Tod in die Fremde, nötigt sie, Schlepper zu bezahlen. Im neuen Land verstehen die Geflüchteten weder Sprache noch Kultur. Sie verlieren Verwandte in der Heimat, versuchen Familienangehörige nachzuholen, haben Ärger mit Behörden, erleben innerpolitischen Widerstand gegen sich, haben sowohl ablehnende als auch helfende Nachbarn. Sie wünschen sich, zurück zu können.
Und weil dies international und über alle Sprachgrenzen hinaus so viele Parallelen hat, ließ Shaun Tan Worte komplett weg. Es sprechen nur Bilder, die jeder „lesen“ kann.