Zwischenmenschliche Beziehungen

Foto: Diana Juneck

Wenn man sich tiefgründiger mit den zwischenmenschlichen Beziehungen beschäftigt, entdeckt man, wie vielfältig sie in ihren Erscheinungsformen und Zwecken sind. Zurückzuführen ist dies auf die genauso vielfältigen Charakteristika der unterschiedlichen menschlichen Gemeinschaften in denen wir leben und in denen sich Beziehungen entwickeln. Sie stellen eine elementare Verbindung zwischen den Mitgliedern einer Gruppe dar und verleihen ihnen eine besondere Prägung.

Der große Begriff „Beziehungen“ ist für die Verwendung im Alltag zu abstrakt und zu allgemein. Deshalb soll er hier verkleinert werden: Auf der Ebene der Individuen kommen Beziehungen in den unterschiedlichsten Spielarten und Bezeichnungen vor. Da wäre etwa die familiäre Beziehung zu nennen, welche wohl unbestreitbar für die meisten Menschen eine maßgebliche Rolle spielt. Meistens handelt es sich dabei um eine besonders enge Beziehung, die von Liebe, Zusammenhalt, gegenseitiger Unterstützung und Sorge um die gemeinsamen Interessen geprägt ist. Sie bleibt von der Wiege bis zur Bahre erhalten und gilt damit als eine der beständigsten Beziehungen überhaupt.

Ferner wäre z.B. die kameradschaftlich-kollegiale Beziehung zu nennen. Die Voraussetzungen dafür bilden sich schon in den frühen Lebensphasen heraus. Sie reicht von der Beziehung zwischen Klassenkameraden bis zu der zwischen Arbeitskollegen. Sie ist in der Regel durch gegenseitigen Respekt charakterisiert und kann sich mit der Zeit zu einer Freundschaftsbeziehung ausweiten. In vielen Fällen ist sie langlebig, besonders wenn sie schon früh im Leben begann und den beiderseitigen persönlichen Interessen förderlich ist.
Unter dem Gesichtspunkt der Stabilität, kann man gut beobachten, kommt die Freundschaft im Beziehungsranking oftmals gleich nach der familiären Beziehung. Freunde teilen Sorgen, Probleme, Glück und Erfolg miteinander, sind immer für einander da, um über private Angelegenheiten zu sprechen und sich gegenseitig Geheimnisse aus ihrem Leben anzuvertrauen. Ein Freund ist für den anderen ein Quell der Aufmunterung, wann immer er einer solchen bedarf. Freundschaft ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie auf Profit und Opportunismus gebaut ist. Damit sie dauerhaft und erfolgreich sein kann, müssen in einer solchen Beziehung gewisse Grundvoraussetzungen gegeben sein. Dazu zählen Anstand, Vertrauen und gegenseitiger Respekt. Verkommt sie hingegen zu einer rein merkantilen Beziehung, so ist eine Freundschaft ebenso vergänglich wie kommerzielle Interessen.

Als eine wesentliche Gemeinsamkeit fällt auf, dass Empathie, gegenseitiger Respekt und Ehrlichkeit in jeder Beziehung unbedingt vorhanden sein müssen. Statt permanent auf die Fehler des anderen zu schauen, sollten man einander Verständnis entgegenbringen. Jeder macht Fehler, keiner ist perfekt.

KulturTÜR hat eine Reihe von Geisteswissenschaftlern gebeten, den Begriff „Beziehungen“ zu erläutern. Vier der Befragten gaben uns eine Antwort:

Rabi’, in Frankreich lebender Journalist: „Die zwischenmenschliche Beziehung ist in ihrem allgemeinen Sinne eine Verbindung auf einer bestimmten Intensitätsstufe zwischen zwei oder mehreren Personen. Sie lässt sie sich in verschiedene Unterkategorien einteilen: Gefolgschaftsbeziehung, Eltern-Kind-Beziehung, eheliche Beziehung, geschwisterliche Beziehung, Liebesbeziehung, Freundschaftsbeziehung, kameradschaftliche Beziehung, kollegiale Beziehung, utilitaristische Beziehung.“
Rabi’ hat sich viele Jahre mit diesem Thema beschäftigt. Wie er weiter erklärt, seien diejenigen Beziehungen am stabilsten und erfolgreichsten, die mit der Wesensart der beteiligten Personen harmonierten. Psychologische und gesellschaftliche Umstände spielten für Erfolg bzw. Misserfolg eine Rolle. In den verschiedenen Beziehungen, die der Mensch im Laufe seines Lebens eingehe, sei er Einflüssen ausgesetzt, übe gleichzeitig aber auch selber Einfluss aus. Dies habe Auswirkungen auf das soziale Umfeld und letztendlich auch auf eine ganze Gesellschaft bzw. sogar darüber hinaus.

Basma, in Tunesien lebende Publizistin: „Alle Arten von Beziehungen sind variabel, in Abhängigkeit von der Mentalität der beteiligten Personen und von den Überzeugungen, an die sie glauben, wie auch in Abhängigkeit von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen.“
In familiären Beziehungen, die ihre Stabilität der gemeinsamen Abstammung verdankten, hätten Egoismus, Neid und Profitsucht nichts verloren, so Basma weiter. In Vollendung komme dies in der Eltern-Kind-Beziehung zum Ausdruck. In der kameradschaftlich-kollegialen Beziehung hingegen sei es durchaus üblich, dass mal Gleichklang, mal Missgunst den Ton angäben. Idealerweise solle der Freund dem Freund ein Spiegel sein. Für Basma sei die Liebesbeziehung das Großartigste überhaupt, denn sie sei eine Mischung aus Freundschaft und Leidenschaft.

Suha, in Riad lebende Autorin und Dichterin: „In allen langfristigen zwischenmenschlichen Beziehungen ist es der Respekt, der zählt. Respekt gegenüber der Persönlichkeit des Anderen, seinem Anderssein, seiner Privatsphäre, seiner An- und Abwesenheit. Ich denke, dass gegenseitiger Respekt weitaus wichtiger ist als Liebesgefühle.“

Bilal, in Deutschland lebender Journalist: „Beziehungen sind ein menschliches Grundbedürfnis, ein verbindendes Element, dem eine wichtige Rolle bei der Herausbildung unserer Identitäten zukommt, sowie bei der Ausformung unserer Emotionen und unseres ideellen Bildes von der Welt um uns herum. Sie können auf vielfältige Weise erfahren werden und sich – je nachdem, ob es sich um kollegiale, familiäre oder freundschaftliche Beziehungen handelt – ganz unterschiedlich auf uns auswirken.“

Zusammenfassend lässt sich bemerken: Beziehungen sind Organisationsformen des sozialen Lebens, die in vielen Spielarten vorkommen. Sie sind ständiger Veränderung ausgesetzt, sie entwickeln sich weiter und es gehört zu ihrer Beschaffenheit, dass alle Beteiligten für den Fortbestand der Beziehung wie auch für deren Beendigung mitverantwortlich sind. Ganz allgemein verläuft eine Beziehung in natürlichen Phasen oder Akten wie im Theater: Beginn – Etablierung – Stagnation – Beendigung.

Die Vielfalt der zwischenmenschlichen Beziehungen ist ein für das Leben charakteristisches Merkmal. Der Mensch kann nicht isoliert als Individuum existieren. Womöglich ist die wichtigste jener Beziehungen die zwischen den Geschlechtern. Ist sie doch letzten Endes diejenige, die den Fortbestand aller Lebewesen gewährleistet.

Übersetzung aus dem Arabischen von Rafael Sanchez

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