„FREIZUG“

Foto: Diana Juneck

Morgens um neun standen die Busse vor der Sporthalle in der Lessingstraße. Zwei Wochen vorher schrieb das LAF (Landesamt für Flüchtlinge), dass in der 5. Kalenderwoche die Bewohner in eine „Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF)“ verlegt würden. Präzisiert wurde dieser Plan per Email am 30. Januar: „Freizug am 2.2.17“.

Mir liegt das Wort „Freizug“ quer im Hals. Mein Rechtschreibprogramm unterstreicht das Wort als unbekannt. Andreas Huber vom Betreiber der Notunterkunft, der DRK Berlin Südwest Soziale Arbeit, Beratung und Bildung gGmbH, vermutet die Herkunft des Begriffs beim LAF. Mit „freiziehen“ ist natürlich das Gebäude gemeint, jedoch „ziehen“ dessen Bewohner ins „Freie“ – wohlgemerkt im Sinne von Freiheit, nicht Obdachlosigkeit. Frei von der Enge des Bettenlagers in der Sporthalle, frei von der Eingangskontrolle
und dem vorgesetzten Catering, frei vom Zwang, alles von den Nachbarn hinter der trennenden Decke miterleben zu müssen, aber auch frei von der 24-Stunden-Hilfe durch das Personal der Notunterkunft und auch frei von den bereits gefundenen sozialen Kontakten. Das Wohnen in einer MUF ist im Vergleich zur Sporthalle ein Quantensprung in Bezug auf Komfort und Unabhängigkeit – also Freiheit. Die Menschen sind aber soziale Wesen.

Immer wieder glückte es, insbesondere Familien aus der Notunterkunft heraus in Gemeinschaftsunterkünfte oder eigene Wohnungen umzuziehen. Es entstanden Berührungspunkte. Es gab Reibung und Auseinandersetzungen mit den Nachbarn – sowohl innerhalb der Hallen als auch mit den Nachbarn draußen, deren Ruhebedürfnis besonders im Sommer oft strapaziert wurde. Es fanden sich kulturübergreifende Freundschaften, sogar Paare und es bildeten sich gute Kontakte zu den Vereinen im Kiez (Fechtclub, Hockeyclub), zur Lukasgemeinde, zum Willkommensbündnis, zu ehrenamtlichen Helfern, zu Schulklassen, Kitas und schließlich auch zu den Anwohnern. Andreas Huber erklärt, Ziel des Betreibers war es, die Geflüchteten möglichst schnell zu integrieren. Eine Notunterkunft ist und bleibt eine Notlösung. Leider verlief das Finden von guten Unterbringungsalternativen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zu langsam. Und auch vom „Tempohome“ in der Finckensteinallee war im Februar noch nichts zu sehen. Die MUF in Marzahn-Hellersdorf bietet Wohnraum für 300 Geflüchtete. Ein wirkliches Ankommen ist es aber nicht. Für die Menschen wird es in sozialer Hinsicht ein „erneuter“ Neubeginn.

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