Ein Minderjähriger allein in Deutschland

Vor dem Krieg sind viele geflohen: Syrer, Iraker, Afghanen und viele andere mehr. Männer, Frauen, Kinder und auch unbegleitete Minderjährige. Im Jahr 2016 haben laut einem Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 35 939 unbegleitete Minderjährige in Deutschland Asyl beantragt (siehe Tabelle). Sie haben allein ihre Länder verlassen, sind allein über Grenzen, über das Mittelmeer, mit LKW’s gekommen und haben ihre Träume, Geschichten, Hoffnungen mitgebracht – aber keine Eltern.

Ich vermisse meine Eltern und meine kleine Schwester sehr

Einer von ihnen heißt Haythem; ihn haben wir kurz interviewt. Aus Syrien kommt er und ist seit einem Jahr in Berlin. Er wurde 1999 in Hassakah, im Norden des Landes, geboren. „Ja, ich bin allein nach Deutschland gekommen‘‘, lacht er. Da Syrer auf legalem Weg kein Visum nach Deutschland bekommen können, ist Haythem wie die meisten seiner Landsleute von der Türkei aus illegal eingereist. Er war in einem LKW versteckt. „Einige Zeit hat die Reise schon gedauert‘‘, erklärt Haythem. Er hatte Glück, dass er nicht über das Mittelmeer kommen musste, sondern eine andere, sichere Möglichkeit hatte. Das Ziel Haythems – so wie vieler Syrer – war Deutschland. Für ihn war es wichtig hierherzukommen, weil er hier zwei Brüder und weitere Verwandte hat.
Für ihn als unbegleiteten Minderjährigen ist das Jugendamt zuständig. Er lebt mit sieben anderen in einer Jugendwohnung in Berlin. Alle sieben sind ohne ihre Eltern gekommen. Was hat das für Konsequenzen? „Vier von ihnen nehmen regelmäßig Haschisch; einer ist Drogenhändler‘‘, sagt Haythem. Deshalb wohnt er nur theoretisch dort, ist praktisch aber meist nicht da, weil er diese Atmosphäre nicht mag.

Haythems Aufenthaltsgestaltung gilt für ein Jahr. Somit hat er kein Recht auf Familiennachzug. Foto: Hussein Ahmad

Seit vier Monaten besucht er eine „Willkommensklasse‘‘. In der Schule will er die Sprache verbessern und Kontakte aufbauen. „Deutschland braucht junge Menschen. Ich bin noch jung, ich habe doch viele Möglichkeiten“ sagt Haythem. Wie viele Flüchtlinge hat auch er ein Ziel, das er eines Tages erreichen will. „Wenn ich die Sprache sehr gut kann, will ich unbedingt eine Ausbildung zum Autohändler machen“.
Aber was fehlt ihm in Deutschland? „Meine Familie“ antwortet er mit traurigen Augen. Da er noch keinen Aufenthaltstitel für drei Jahre erhalten hat, sondern nur eine Aufenthaltsgestattung für ein Jahr, hat er kein Recht auf Familiennachzug. Gleichzeitig darf er mit seiner Aufenthaltsgestattung nicht reisen und kann seine Familie somit auch nicht besuchen. Im Klartext: Das BAMF wartet, bis Haythem 18 Jahre alt wird, dann bekommt er zwar den Aufenthaltstitel, aber dann entfällt automatisch das Recht auf Familiennachzug. So ein Gesetz ist so geschrieben, damit die Familie nicht nachkommen kann. So ein Gesetz ist so formuliert, damit Minderjährige ihre Rechte als Flüchtlinge in Europa nicht in Anspruch nehmen können!

Quelle: bamf.de

Aber wo ist Haythems Familie? Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde, haben der Vater, die Mutter und die kleine Schwester lange Zeit in einem Zelt zwischen Griechenland und Mazedonien verbracht und steckten dort fest. Jetzt sind sie in einer Flüchtlingsunterkunft in Griechenland untergebracht. Sie warten immer noch und geben die Hoffnung nicht auf, dass sie sich wiedertreffen. „Ich vermisse meine Eltern und meine kleine Schwester sehr. Wie lange muss ich noch warten?“ fragt Haythem.

Foto: Hussein Ahmad

Hussein Ahmad hat den Text auf Deutsch verfasst und ins Arabische übersetzt. Auch die Fotos sind von ihm.

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