Ein Funken Hoffnung

Foto: Safwan Almoubark

Ahmed ist verheiratet und hat drei Kinder. Seit Ausbruch der syrischen Revolution waren er und seine Familie gegen das unterdrückende und brutale syrische Regime. Genau aufgrund dieser Haltung gegen Assad wurden er, seine Brüder und Verwandten Opfer von Verfolgung. Vor drei Jahren sind zwei seiner Brüder willkürlich verhaftet worden. Ahmed weiß bis heute nicht, ob sie noch am Leben sind. Ihm selbst gelang auf einem riskanten und schwierigen Weg, der ihn von der Türkei über das Meer nach Europa führte, die Flucht nach Deutschland. Seine Reise begann er voller Zweifel. Er hatte die Hoffnung auf ein besseres Leben für sich, seine Frau und seine Kinder.

Am 2. September 2015 kam Ahmed allein in Berlin an. Erst wartete er 15 Tage lang vor dem LaGeSo in Berlin, und als er dann nach langem Warten endlich an der Reihe war, erhielt er zwar eine Unterkunftsbestätigung, allerdings ohne Adressangabe. Dies bedeutete, dass er sich selbst eine Bleibe suchen musste. Er schlief auf der Straße, bis er eine Gruppe freiwilliger syrischer Helfer traf, die für ihn einen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft fanden. Dort teilte er sich dann mit sechs weiteren Personen zwei Zimmer.

Nachdem er die schreckliche Zeit auf der Straße hinter sich gelassen und sich mittlerweile einigermaßen in seiner neuen Unterkunft eingelebt hatte, begann die Phase des Wartens, des Heimwehs und der Sehnsucht. In dieser Zeit nahm einer seiner Freunde Kontakt zu ihm auf, der vorhatte, ebenfalls nach Deutschland zu flüchten. Ahmed bat ihn, seinen 12-jährigen Sohn Mohammad mit nach Deutschland zu bringen. Und tatsächlich kam der Freund zusammen mit Mohammad im Dezember 2015 in Deutschland an. Jetzt begann für Ahmed wieder eine neue Phase, da er nun zugleich Mutter, Vater und Erzieher für seinen Sohn sein musste. Auch wenn Ahmed sich riesig freute, seinen Sohn endlich wiederzusehen, so war er doch sehr betrübt, dass er seine Frau, seine anderen beiden Kinder und die restlichen Familienmitglieder nicht in die Arme schließen konnte.

Anfang 2016 erhielt Ahmed die traurige Nachricht, dass seine Frau durch einen Schuss von Assads Soldaten an der Hand verletzt wurde. An jenem Tag fand das Begräbnis eines Soldaten statt und seine Kameraden gaben Schüsse in die Luft ab. Dabei wurden Ahmeds Frau und einige andere Passanten verletzt. Seine Frau konnte sich nicht in einem staatlichen Krankenhaus behandeln lassen, denn dies hätte sie einer noch größeren Gefahr ausgesetzt und schließlich zu ihrer Verhaftung geführt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in einem der teuren Privatkrankenhäuser behandeln zu lassen. Seit ihr Wohnhaus infolge von russischen und syrischen Luftangriffen völlig zerstört und somit unbewohnbar wurde, sind Ahmeds Frau und seine Kinder gemeinsam mit anderen Flüchtlingen aus verschiedenen Regionen Syriens in einer Schule in Damaskus untergebracht worden.

Ahmed in der Küche der Gemeinschaftsunterkunft. Sich auf den Alltag und aufs Deutschlernen zu konzentrieren fällt ihm schwer: Seine Gedanken kreisen einzig und allein darum, dass seine Familie nicht mehr zusammen ist. Foto: Safwan Almoubark

Nach langem bitterem Warten erreichte Ahmed eine weitere niederschmetternde Nachricht: Er erhielt gemäß deutschem Recht subsidiären Schutz, also ein Aufenthaltsrecht, das auf ein Jahr beschränkt ist. Mit diesem Aufenthaltsstatus hat er keine Aussicht darauf, dass seine Familie wieder vollständig werden würde. Ahmed wandte sich sofort an einen Rechtsanwalt, um diesen Beschluss anzufechten. Bis zum heutigen Tage blieb das allerdings erfolglos und brachte ihm nichts anderes ein als Schulden.

Ahmed fühlt sich heute wie in einer Zwickmühle: Entweder er kehrt nach Syrien zurück und setzt sich damit erneut der Verfolgung durch das Regime aus, oder er bleibt hier und lebt mit der Angst und Sorge um seine Frau und seine Kinder, deren Schicksal ungewiss ist. Ahmed ist hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Möglichkeiten, von denen die eine bitterer ist als die andere. Dabei hat er sich doch nicht das Geringste zuschulden kommen lassen.

Seine Verzweiflung und Frustration kann man in seinen Augen lesen. Seine Gedanken kreisen einzig und allein darum, dass seine Familie nicht mehr zusammen ist. Aufs Deutschlernen kann er sich dabei nur schwer konzentrieren. Sein Sohn Mohammad ist ein kluger Kopf und lernt mittlerweile in der Schule fleißig Deutsch. Aber auch er ist erfüllt von der Traurigkeit darüber, von seiner Mutter und seinen Geschwistern getrennt zu sein. Über das Internet versuchen die beiden in Kontakt mit ihrer Familie in Syrien zu bleiben. Doch die Skype-Gespräche gestalten sich schwierig: Der Strom ist ständig unterbrochen und oft kommt keine Internetverbindung zustande, berichten sie, während ihnen Tränen über die Wangen laufen. Sie verzehren sich vor Sehnsucht, Traurigkeit, Sorge um die Zukunft, die für sie alle so ungewiss bleibt.

Ahmed teilt seine Geschichte hier und heute mit der Öffentlichkeit, vielleicht um damit einen Funken Hoffnung zu erlangen, der ihm dabei hilft, die Trennung von seiner Familie zu ertragen. Er möchte weiterhin daran glauben, dass sie bald zusammen ein Leben in Sicherheit und Frieden führen können. Ein Leben fernab von einem Regime, welches das eigene Volk tötet oder in alle Teile der Welt vertreibt.

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