Sechs Jahre nach dem Beginn des Krieges ist Syrien ein Land ohne Hoffnung
Mit der syrischen Revolution begann vor sechs Jahren das leidvolle Schicksal der Syrer, mit ansehen zu müssen, wie ihre Liebsten Opfer von Assads Regime wurden. Von da an wurden sich alle der Brutalität und Ungerechtigkeit des Regimes bewusst. Es begann mit den politisierten Zeichnungen und Kritzeleien der Kinder aus Daraa, einer Stadt im Süden Syriens, nahe der Grenze zu Jordanien.
Nachdem die Sicherheitskräfte entdeckt hatten, was sie geschrieben hatten, wurden sie verhaftet und mussten in der Direktion für politische Sicherheit in Daraa schlimmste Folter erleiden – der Grund dafür: Sie hatten auf die Mauern ihrer Schule in Daraa Revolutionsparolen gemalt.
Ihre Graffitis, für die die 7- bis 11-jährigen Kinder unwissentlich ihr Leben aufs Spiel setzten, haben in der Region Geschichte geschrieben. Für viele Syrer markiert dieses Ereignis den Beginn der Katastrophe.

Gewiss aber ist das Wichtigste an diesem Geschehnis, dass jene Graffitis weder religiöser Natur waren noch zum Bürgerkrieg aufriefen – sie waren ganz einfach vom „arabischen Frühling“ inspiriert. Es handelte sich um Sprüche, die schon beim Sturz von Hosni Mubarak gerufen wurden, wie „Ejak al-door, ya doktoor“ („Sie sind an der Reihe, Herr Doktor“), ein sogar höflicher, wenn auch politisch brisanter Satz.
Dieses Regime hat von Beginn an keinen Versuch unternommen, dem Aufstand mit Diplomatie oder Dialog zu begegnen. Vielmehr wurde sofort mit eiserner Gewalt reagiert. Am 18. März 2011 schlugen die Wogen hoch, nachdem es zwischen Atef Najib, dem Cousin des Präsidenten und Chef für politische Sicherheit in Daraa, und den Vermittlern aus dem Volk zu einer Auseinandersetzung kam. Najib war der Überzeugung, dass die Leute kein Recht hatten, nach dem Schicksal ihrer verhafteten Kinder zu fragen. Er soll geantwortet haben: „Vergesst diese Kinder, geht nach Hause, macht neue, und wenn ihr Hilfe braucht, schickt uns eure Frauen!“
Bevor dieses erste Blut vergossen wurde, war der Protest etwa ein halbes Jahr lang friedlich verlaufen. Es war eine friedvolle Revolution. Ihre Ziele waren, die Freiheit des Volkes und die Bekämpfung von Korruption und Ungerechtigkeit im Land. Einen religiösen Hintergrund gab es nicht, und zum Bürgerkrieg kam es erst, als sich das Volk gezwungen fühlte, sich so zu wehren, wie es angegriffen wurde: mit Waffen.
Es scheiterte nicht nur der friedliche Übergang zu einer neuen Regierung. Vielmehr führte die Gewalt sogar zu einer in der Region nie zuvor dagewesenen religiös motivierten Spaltung – obwohl es z.B. in Daraa während des gesamten ersten Jahres keinen einzigen religiös motivierten Zwischenfall gegeben hatte. Es war Assad selbst, der vom ersten Tag an die Religionen ins Spiel brachte. Denn noch bevor der erste Schuss fiel, bevor Al Kaida und Daesh 1 auf den Plan traten, war die Rede von „Gruppen religiöser Extremisten“, vor denen das Regime – so dessen eigene Darstellung – als Held in der ganzen Region die Minderheiten verteidigen würde. So begann das Regime auch, Anschläge zu instrumentalisieren und selbst zu verüben, um sich im Anschluss daran als Beschützer der Minderheiten zu präsentieren, auf die es die Terroristen abgesehen hätten. Die Parolen der Aufständischen richteten sich aber weder gegen die Hisbollah noch gegen die Schiiten. Es waren sogar die Häuser der Sunniten in Damaskus, Daraa, Homs und Kusseir, in denen die vertriebenen Hisbollah-Mitglieder während des Libanonkriegs 2006 Zuflucht gefunden hatten.
Eigentlich lässt sich gar nicht in Worte fassen, was in Syrien passierte: Assad und seine Verbündeten verkehrten die syrische Revolution in einen Bürgerkrieg, um ihre Macht zu behalten. Dies macht jedoch die historischen Ursachen nicht weniger wahr, und das Regime bleibt genauso in der Verantwortung wie die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen und die arabische im Besonderen. Die Situation Syriens heute ist wie einst das Verbrechen an den Kinder von Daraa in der Gefängniszelle der Direktion für politische Sicherheit: erbarmungslos und voller Gewalt. Wer nicht durch eine Kugel getötet wurde, erlag Chemiewaffen oder Fassbomben.
Überzeugt davon, dass er niemals an der Reihe sein wird, verübt der „Herr Doktor Diktator“ weiterhin Gräueltaten. Die Menschen dort werden ihre Kinder nicht vergessen, wie der Chef für politische Sicherheit es ihnen geraten hat. Und so werden sie auch weiterhin rufen, wie es durch die Revolution allen Syrern zum Leit- und „Leid“-satz wurde: „Oh Gott, Oh Gott, wir haben nur dich!“
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