Integration ist keine Einbahnstraße

keine Einbahnstraße
Foto: Diana Juneck

Zwei Menschen, die auf den ersten Blick sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, sind sehr gute Freunde geworden. Ayham Hisnawi ist von Syrien über die Türkei nach Deutschland gekommen und lebt seit anderthalb Jahren in Berlin. Rosa Arslan ist in Deutschland geboren, in Belgien aufgewachsen und hat einen türkischen Vater. Vor dem Hintergrund des heißdiskutierten Referendums in der Türkei sprechen die beiden über Fragen der Anpassung, der Integration und der Unterschiede. Die Fragen stellt Rosa Arslan an Ayham Hisnawi.

Ayham, du bist mehr als ein Jahr in Deutschland, sprichst fließend deutsch und hast einen großen Freundeskreis. Würdest du dich selbst als integriert bezeichnen? Oder gar als Deutscher?

Nein, ich bin kein Deutscher und will auch keiner sein. Wäre ich Deutscher, dann müsste ich ja auch die deutsche Geschichte als meine Geschichte annehmen. Und das ist sie nicht. Kann sie nicht sein. Und ja, integriert bin ich wohl, aber was heißt das? Integriert sein heißt wahrscheinlich, die Sprache lernen, mich an die Regeln hier halten, klar, das tue ich, das tue ich sogar gerne, aber ich mag dieses Wort nicht, ich bin nicht aus Gummi und kann mich nicht beliebig verbiegen. Es gibt kein Muster, kein Ideal, in das ich mich einfügen möchte. Ich habe das Land, in dem ich lebte, verlassen müssen, weil ich nicht erschossen werden wollte, aber auch, weil ich niemanden erschießen wollte. Diesem Schicksal bin ich entkommen. Im Grunde will ich einfach nur ankommen, studieren, arbeiten und ein friedliches Leben führen. Ich habe zwanzig Jahre in Syrien gelebt, das ist in mir drin, das kriegt man nicht mehr aus mir raus, und das sollte okay sein. Meine besondere Lebensgeschichte, meine Erfahrungen kann man mir nicht nehmen.

Und trotzdem wird oft von der Mehrheitsgesellschaft erwartet, dass Neuankömmlinge sich integrieren. Was bedeutet dieses vielbenutzte Wort „Integration“ für dich?

Integration ist keine Einbahnstraße. Die deutsche Gesellschaft wird vielfältiger durch uns, durch unser Wissen und unsere Ansichten. Und die verdienen es, geteilt und verstanden zu werden. Flüchtlinge haben sich nicht einfach zu integrieren, sondern sie sollten ermuntert werden, ihre Stimme vernehmbar zu machen, sich eben nicht zwangsläufig anpassen zu müssen, sondern hörbar zu werden. Im besten Fall Akteure in der deutschen Gesellschaft und in der Politik werden. Kein Gegenstand der Berichterstattung sein, sondern selber schreiben. Deshalb führen wir ja auch das Interview, dass man das mal lesen kann! (lacht) Kurz: Nie mehr Opfer sein. Kein Flüchtling sein. Ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sein! Der anders ist. Anders, aber nicht besser oder schlechter als jeder andere. Dann haben wir es ge- schafft: die Deutschen und alle, die in Deutschland leben.

Vor einiger Zeit hat das Referendum in der Türkei und das Abstimmungsverhalten der hier lebenden Türken und Türkinnen bzw. der hier geborenen Deutschen mit doppelter Staatsbürgerschaft für viel Diskussion gesorgt. Wenn in Syrien auch eine Wahl wäre, an der du dich beteiligen könntest, würdest du es tun?

Ich würde mich nicht beteiligen, weil es zu weit weg ist. Ich habe kein Recht zu entscheiden, in welchem System die Syrer dort leben wollen. Ich bin hier, in Deutschland, und bin nicht von den Auswirkungen betroffen. Ich bin zwar Syrer, aber ich würde mich nur beteiligen, wenn es eine Wahl gäbe, von der ich betroffen wäre. Andererseits sagt man mir aber: „Deine Familie lebt dort, dadurch bist du betroffen!“ Ich sage dann: „Soll meine Familie, die in Syrien lebt, in Deutschland abstimmen dürfen, weil ich hier bin?“ Man sollte nur die Lebensverhältnisse mitbestimmen dürfen, in denen man auch unmittelbar lebt. Das wäre schon viel!

Was denkst du, was ist der Unterschied zwischen Türken und Türkinnen und Syrern und Syrerinnen in Berlin bzw. in Deutschland?

Es war ja schon eine ganz andere Art des Ankommens. Ich glaube, in unserem Fall ist das anders als bei den Türken, weil wir von vornherein eine ganz andere Einstellung hatten. Denn wir sind nicht als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, sondern in unserem Land herrscht Krieg, und wir wissen nicht, ob wir dahin wieder zurückgehen können. Deutschland hat Maßnahmen ergriffen, damit die Syrer die deutsche Sprache lernen, und sich in der Gesellschaft schnell integrieren. Und als Flüchtling passt man sich eben schneller an als ein Gastarbeiter, der ja jederzeit zurück könnte. Und wie schnell sich Flüchtlinge anpassen können, dafür gibt es viele Beispiele in der Geschichte. Auch mich.

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