Dies war die erste Frage, die ich mir stellte, als nach meiner großen Reise ein neuer Lebensabschnitt in Deutschland begann. Wie lange braucht ein Flüchtling, bis sein neues Leben anfängt?
Auf der Suche nach Antworten sprach ich mit Sergei, einem Bulgaren, darüber. Er lebt schon seit 1988 in Deutschland. Aus beruflichen Gründen und um ein besseres Leben zu haben, kam er damals hierher. Auch wenn er schon lange in Deutschland lebt, so sagt er selbst, gibt es nur eine Heimat für ihn, und das ist Bulgarien. Er ist nur hier, um Geld zu verdienen. Später möchte er nach Bulgarien zurückkehren. Trotz der vielen Jahre, die er hier lebt, so Sergei, betrachtet er sich nicht als Deutschen. Vielmehr sieht er sich als Bulgaren, der in Deutschland lebt. Nicht mehr und nicht weniger. Ich denke, er ist eigentlich kein Flüchtling, sondern eher ein Gastarbeiter – wenn es diesen Begriff noch gibt.
Murat, Deutscher mit türkischen Wurzeln, lebt seit zwanzig Jahren in Deutschland. Er ist verheiratet und hat hier eine Familie. Er sagt, er habe zwar die deutsche Staatsbürgerschaft, von seinem Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl her sei er aber Türke. Er wurde nicht nur in der Türkei geboren, sondern verbrachte dort auch seine Kindheit. Murat ist der Ansicht, dass es nicht gerade unwichtig ist, wie alt ein Mensch ist, wenn er auswandert. Als er nach Deutschland kam, war er erst 23 Jahre alt. Es sei ihm leichtgefallen, Deutsch zu lernen und sich ein Leben hier aufzubauen. Mit 32 Jahren heiratete er und gründete eine Familie. Seine Kinder würden sich viel mehr Deutschland als der Türkei zugehörig fühlen. Ihre Heimat sei einzig und allein Deutschland.
Ein Beispiel, das Mut macht
Mohammed, ein seit 2015 in Deutschland lebender Flüchtling, findet, dass das Leben überall weitergehen kann, und sei es auch noch so weit von der Heimat entfernt. Wenn sich der Mensch an diesem Ort aktiv um ein neues Leben bemüht, gewinnt er neue Freunde, was ihm das Gefühl vermittelt, dazuzugehören. Er nennt auch ein Beispiel: Als er das erste Jahr in Deutschland war, kannte er niemanden. Nachdem er aber begonnen hatte, Deutsch zu lernen, meldete er sich bei einem Fitnessclub an und lernte dort neue Freunde kennen, die ihm auch Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verschafften. Dadurch wiederum konnte er deutsche Gepflogenheiten und Traditionen kennenlernen. Er fühlte sich daraufhin nicht mehr fremd. Wie schwierig und beklemmend die Umstände auch sein mögen, so Mohammed, der Mensch muss stets daran arbeiten, so schnell wie möglich Lösungen zu finden, und keine Zeit damit vergeuden, ans Scheitern zu denken. Er ist außerdem der Ansicht, dass Menschen sehr wohl dazu imstande sind, ihre Gefühle zu steuern. Wenn jemand wirklich aus einem Kreislauf ausbrechen möchte, dann sei dies möglich. Es sei jedem selbst überlassen, sein Leben so zu planen, dass man glücklich ist. Abschließend sagt Mohammed noch, dass es nichts Stärkeres auf dieser Welt gibt als den Willen des Menschen.
Und ich ?selbst Ich denke, die Sehnsucht nach meiner Heimat werde ich immer haben, aber eine Arbeit und gute Freunde erleichtern mir das Leben in Deutschland.
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