Wie ist humaner Familiennachzug möglich?
Ungeduldiges Warten in der Flughafenhalle. Suchende Augen. Endlich die Lieben aus der zerbombten Heimat in die Arme schließen! Endlose Freudentränen. Der Wunsch vieler Geflüchteter.
Es war im November 2014 – die sogenannte Flüchtlingskrise war noch nicht abzusehen –, da tauchten in den Tageszeitungen Berichte auf, wonach es für die ersten Geflüchteten aus Syrien in Berlin keinen Wohnraum gab. Es könne doch nicht sein, sagte sich Martin Keune, Geschäftsführer einer Werbeagentur, Schriftsteller, Fotograf und Mitgründer der Flüchtlingspaten Syrien, dass sich die Menschen, die den langen Fluchtweg geschafft haben, in der Novemberkälte in Büsche und Bahnschächte schlagen sollten. Hier! In dieser großen Stadt!
Ganz selbstverständlich wollten er und seine Frau die städtische Ferienwohnung zur Verfügung stellen. Aber wie? Und für wen? Keune, immer gewohnt, das Machbare sofort anzupacken, steckt von da an seine schier unerschöpfliche Energie in dieses Thema und trifft in einer Berliner Beratungsstelle für Migranten auf zwei junge Kurden aus Qamishli im Nordosten Syriens. Dort wären die beiden vom IS rekrutiert worden, also blieb ihnen nichts übrig als die gefährliche Flucht. Den damals 86-jährigen Vater und die 71-jährige Mutter mussten sie zurücklassen. Die beiden jungen Männer litten unter der Last des Erlebten, hatten körperliche und seelische Schmerzen, lebten in der Freiheit in ständiger Angst um ihre Eltern. Wie so viele Geflüchtete, die sich hier um die geliebte Familie in der bedrohten Heimat sorgen, von Albträumen geplagt sind oder nachts in der beunruhigenden Ruhe keinen Schlaf finden können.
Einer der beiden sprach schon ein wenig Deutsch, und sie baten Martin Keune, die Eltern aus Syrien herauszuholen.
Als ich die Verpflichtungserklärung in der Ausländerbehörde für die Eltern noch vor der Vereinsgründung unterschrieben hatte, bekam ich ziemlich weiche Knie
erinnert er sich. Schließlich hatte er sich dem Staat gegenüber verpflichtet, unbefristet (heute maximal fünf Jahre) die Kosten für den Lebensunterhalt und die Miete, also 800 Euro monatlich, zu übernehmen. Kosten im Krankheits- und Pflegefall übernimmt das Land. Aber das private Engagement hat sich gelohnt – die Eltern leben jetzt zusammen mit ihren Söhnen in Berlin.
Zwei Männer – ein Gedanke: Martin Keune erfuhr von Ulrich Karpenstein, der zur gleichen Zeit eine Verpflichtungserklärung für ein bluterkrankes syrisches Kind und dessen Mutter abgeben und die Kosten auf fünf Personen eines großbürgerlichen Freundeskreises verteilen wollte.
Martin Keune, aus der Werbeagentur mit Crowdfunding und sozialen Netzwerken vertraut, gewann nach nur drei Wochen eine Champagnerwette:
Lass es nicht fünf, sondern 5000 Freunde sein, um viel mehr Menschen aus Syrien herauszuholen war seine Überzeugung.
Aus einer spontanen Idee wurde Wirklichkeit. Getragen von einer engagierten Bürgerschaft, haben sie im Frühjahr 2015 den Verein Flüchtlingspaten Syrien mit einem kleinen Projektladen in Moabit gegründet, die Website ging online, die ersten Anfragen von Geflüchteten, Bürgen und Paten rauschten herein.
Unzählige ehrenamtliche Familienlotsen und Sprachlehrer engagieren sich mit viel Herzblut in Willkommens- und Frauentreffen, im verbindlichen Deutsch-Unterricht, denn die Rechnung ist einfach, erklärt Martin Keune:
Je schneller eine gelungene Integration in Job oder Ausbildung mündet, desto eher werden Kapazitäten für weiteren Nachzug frei.
Mit Stand vom August 2017 holten die Flüchtlingspaten Syrien nach nur zweieinhalb Jahren 223 Menschen aus Syrien heraus, ermöglicht von 190 Bürginnen und Bürgen und mehr als 4500 Patinnen und Paten, die monatlich 10 € und mehr stiften – beschämend für die Politik, die bislang keine Stellung zum weiteren Verfahren des ausgesetzten Familiennachzuges bezieht.
Bislang konnten mit den Familien über 50 Wohnungen angemietet und eingerichtet werden. Mit täglichem Kassensturz steht der Verein inklusive Rücklagen stabil da. Angesichts der rund 20 Anfragen pro Tag bei nur rund fünf freien Plätzen im Monat rührt Geschäftsführer Martin Keune weiter die Werbetrommel: „Retten ist machbar, Nachbar!“ Damit gewann der Verein im September über das Publikumsvoting der meisten Leserinnen und Leser den begehrten diesjährigen Panter Preis der taz, der Menschen, die sich für andere stark machen, würdigt.
„Es sind jedes Mal bewegende Momente, wenn wir zwei- bis dreimal im Monat Familienmitglieder am Flughafen abholen. Ich sehe keine Geflüchteten, ich sehe Mütter, Väter, Kinder, die den Wunsch haben, mit ihrer Familie zusammenzuleben“, erklärt Martin Keune sichtlich bewegt.
Informationen und Anfragen:
www.fluechtlingspaten-syrien.de
info@fluechtlingspaten-syrien.de