Auf der Suche nach einer neuen Heimat

Foto: Hareth Almukdad

Die vergangenen sieben Jahre waren für mich meistens ein rascher Wechsel von einem Land zum nächsten. Erst als ich vor zwei Jahren nach Deutschland gelangte, kam ich endlich zur Ruhe. Nachdem ich hier eine Aufenthaltserlaubnis bekom men hatte, spürte ich zum ersten Mal: Das ist für mich die goldene Gelegenheit für einen Neuanfang, hier kann ich sesshaft werden und arbeiten. Hier kann ich eine Familie gründen, ohne Angst haben zu müssen, willkürlich abgeschoben oder aufgrund meiner politischen Einstellung oder religiösen Überzeugung verfolgt zu werden. Gleichzeitig nahm mich diese Gelegenheit in die Pflicht, denjenigen etwas zurückzugeben, die mir diesen Neuanfang ermöglicht hatten. Ich lernte die Regeln und Gesetze dieses Landes kennen und respektieren, die hier zum Glück für alle gleichermaßen gelten – was eine völlig neue Erfahrung in meinem Leben war. Genauso wichtig war es mir, sofort mit dem Erlernen der deutschen Sprache zu beginnen. Die Mitarbeit bei dieser Zeitschrift gab mir die Chance, einen beruflichen Wiedereinstieg zu finden. Sie war für mich gewissermaßen der Haupteingang zur Integration in die deutsche Gesellschaft und zum interaktiven Spracherwerb.

Unlängst hatte ich die Möglichkeit, während einer kurzen Reise in den Libanon meine Mutter und meine Schwestern wiederzusehen. Wir verbrachten dort ein paar Tage zusammen in einer Bergregion, von der aus der Blick bis nach Syrien reichte. Von dort wären es bis zu meiner Heimatstadt Damaskus, die ich seit meiner Flucht nicht mehr besuchen kann, nur vier Stunden Fahrt gewesen. Es ist ein ziemlich hartes Gefühl, der Heimat so nah zu sein und sie dennoch nicht erreichen zu können – nur, weil man einst in die Rufe nach Freiheit und einem Leben in Würde eingestimmt hat. Das Wiedersehen mit meiner Familie war für mich, als hätte ich meine Heimat wiedergefunden. Auch wenn es nur eine temporäre Heimat war, die mit der Abreise meiner Familie wieder verschwinden würde.

Es drängte sich mir die große Frage auf: Was ist Heimat? Und wann weiß man, dass man an einen Ort gelangt ist, den man Heimat nennen darf? Inzwischen bin ich überzeugt: Heimat ist, wenn man eine Gruppe von Menschen um sich hat, die einem ein Gefühl von Sicherheit geben. Die einen unter der Prämisse behandeln, dass man ein Mensch ist – ungeachtet ethnischer, religiöser oder territorialer Aspekte. Heimat ist kein Stück Land oder ein Ort, wo man wohnt. Es ist ein Gefühl von Geborgenheit, Freiheit und Gerechtigkeit.

Früher hatten unsere Familien Angst um uns, die wir in die Fremde gingen. Heute sind wir Geflüchteten diejenigen, die um unsere Familien in der Heimat Angst haben. Alles ist jetzt anders. Denn die diktatorischen Verhältnisse unserer Herkunftsländer werfen dunkle Schatten über die schönen Bilder und Erinnerungen, die wir von der Heimat hatten und die uns mit ihr verbanden. Sie haben unsere Heimatländer in riesige Gefängnisse verwandelt, haben uns das Fürchten gelehrt und jegliche nostalgischen Bande zwischen uns und ihnen gekappt.

Die kleine Maria fühlt sich in ihrer Heimat wohl und freut sich, nach der Reise in den Libanon wieder zu Hause in Berlin zu sein. Foto: Hareth Almukdad

Meine Reise ging zu Ende. Ich flog vom Beiruter Flughafen aus zurück nach Berlin, und da fühlte ich mich wieder sicher. Und zum ersten Mal seit Jahren spürte ich: Hier habe ich noch eine andere Gemeinschaft, zu der ich immer zurückkehren kann, die mich schützt und um die ich mir Sorgen mache.

Während der ganzen Reise war meine Tochter Maria anders als sonst. Man merkte ihr an, dass sie sich fremd fühlte an jenem Ort, wo so viele Verwandte waren, die sie nicht kannte. Ganz abgesehen davon, dass sie viel unregelmäßiger schlief als üblich. Kaum waren wir wieder zu Hause in Berlin, kehrte sie zu ihrem gewohnten Lebensrhythmus zurück, ihren Spielen, ihrer Ausgelassenheit, ihrem Selbstvertrauen. Denn ihr Zimmer, ihre Spielsachen – das ist ihre Heimat. Ich flüsterte meiner Frau zu: „Ich glaube, Maria hat ihr Heimatland gefunden.“ Würden auch wir beide es eines Tages finden?

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