Afghanen auf unsicherem Terrain

Gegen die Abschiebepolitik der Bundesrepublik nach Afghanistan wird immer wieder demonstriert. Foto: Ali Rezzaie

Ein schier unendlicher Kampf um das Bleiberecht

Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, befinden sich auch hier in Deutschland wieder in einem Kampf, und der scheint unendlich zu sein: Es ist der Kampf für das Recht zu bleiben.

Bereits seit fast eineinhalb Jahren haben sich Menschen aus Afghanistan gemeinsam mit ihren Unterstützern in Deutschland für das Bleiberecht der afghanischen Geflüchteten starkgemacht und mit bundesweiten Demonstrationen und Kundgebungen einen Abschiebestopp in das Kriegsland Afghanistan gefordert.

Seit Dezember 2016 hat die Bundesregierung insgesamt zehn Abschiebeflüge nach Afghanistan gechartert. Mit an Bord: 174 Menschen, darunter auch Personen, die sich gut an die deutsche Gesellschaft angepasst haben und integriert waren, die sich hier in Deutschland eine Zukunft vorgestellt haben. (Beispiele gibt es hier.) Die Bundesregierung hat den Traum dieser Menschen platzen lassen.

In Afghanistan ist kein Ort sicher

Inzwischen ereignen sich fast jeden Tag Anschläge und Gefechte im ganzen Land, bei denen Dutzende Menschen ums Leben kommen. Die Zahl ziviler Opfer durch Selbstmordattentate und Anschläge in Afghanistan ist im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert gestiegen. 2017 seien fast 2300 Zivilisten auf diese Weise getötet oder verletzt worden, heißt es in einem UN-Bericht. Auch nach einem Bericht der afghanischen Menschenrechtsorganisation Civilian Protection Advocacy Group „CPAG“, sind allein im Monat Januar 2018 durch den Krieg am Hindukusch 592 Zivilisten getötet oder verletzt worden. Dort gibt es keinen Ort, den man als sicher bezeichnen kann. Besonders nicht in der Hauptstadt Kabul. „Wenn die angeblich sicheren Gebiete in Afghanistan noch nicht einmal die Hauptstadt umfassen – wo sind sie dann? Darauf hat die Bundesregierung keine Antwort und darf deshalb nicht noch mehr Menschen der terroristischen Bedrohung aussetzen“, so Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen.

Kriminelle Abgeschobene auf freien Fuß!

Trotz der unsicheren Situation in Afghanistan hat die Bundesregierung begonnen, Afghanen in ihre durch Krieg zerstörte Heimat abzuschieben. Sie behauptet, dass alle Afghanen, die seit letztem Jahr bis heute abgeschoben worden sind, Straftäter, Gefährder und – hier wurde extra ein neuer Begriff eingeführt – „Identitätsverweigerer“ sind. Selbst wenn es so wäre, dass alle abgeschobenen Afghanen Kriminelle wären, ist es dann menschlich und moralisch richtig, die Menschen wegen einer Straftat in eine Lage zu bringen, in der ihnen jederzeit der Tod drohen kann?

Foto: Hareth Almukdad

Nach Angaben der zuständigen afghanischen Behörden landet in Kabul keiner der Abgeschobenen im Gefängnis. Sie sind alle auf freiem Fuß und bekommen sogar Unterstützung: Deutschland gewährt jedem Abgeschobenen eine Starthilfe von etwa 700 Euro. Darüber hinaus erhalten sie für rund 14 Tage die Möglichkeit zur Übernachtung in einem Gästehaus der Internationalen Organisation für Migration, kurz IOM.

Wenn, wie das Bundesinnenministerium angibt, alle Abgeschobenen massive Straftaten wie Totschlag oder Vergewaltigungen in Deutschland begangen haben, dann sind sie auch für die afghanische Gesellschaft gefährlich und müssten meiner Ansicht nach, statt Hilfe und Unterstützung von deutscher Seite zu bekommen, auch in Afghanistan ins Gefängnis.

Abschiebung ist nicht human

Die Sicherheitslage in Afghanistan war zwischen 2012 und 2014 deutlich besser als jetzt. In diesem Zeitraum haben keine Abschiebungen nach Afghanistan stattgefunden. Heute werden in Afghanistan fast täglich Dutzende Menschen durch Krieg getötet. Aber die Anerkennungsquote für Afghanen als Asylberechtigte oder Flüchtlinge in Deutschland ist gesunken. Wurden 2016 noch 55,8 Prozent der Afghanen als asylberechtigt anerkannt, waren es im ersten Halbjahr 2017 nur noch 44,1 Prozent. Menschen aus Afghanistan sind die drittgrößte Gruppe der Asylsuchenden in Deutschland. Aber einen Zugang zu staatlich geförderten Sprach- und Integrationskursen erhalten sie nicht. Darüber hinaus trauen sich Ausbildungsbetriebe aufgrund der Abschiebepolitik der Bundesregierung kaum noch, Afghanen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Statt Abschiebung und Abschreckung sollten die Afghanen meiner Meinung nach einen Zugang zu Sprachkursen und anderen Integrationsmaßnamen erhalten, die eine Perspektive schaffen, sich in Deutschland zugehörig zu fühlen. Deutschland hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention, unterzeichnet und als ein europäisches Land ist es verpflichtet, die Europäische Menschenrechtskonvention umzusetzen.

Die Abschiebungen nach Afghanistan sind gegen alle menschlichen Standards und können mit nichts gerechtfertigt werden. Wir alle müssen uns gut überlegen und eine Antwort auf diese Frage finden: Ist es rechtens oder human, Menschen in ein Kriegsland abzuschieben?

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