Zwischen Bewunderung für ihre mystische und antike Schönheit und der Angst vor Explosionen
Nie werde ich vergessen, wie ich 2013 zum ersten Mal nach Herat, der Heimat meiner Eltern, kam. Die starken Winde der afghanischen Stadt zerrten an meinem Schal und drohten ihn vom Kopf zu wehen, und mit jedem Atemzug inhalierte ich mehr Staub. Ich überquerte Straßen, ging an Geschäften und Häusern vorbei und beobachtete die vollverschleierten Frauen, die sehr merkwürdig auf mich gewirkt haben. Die Stadt und ihre Anwohner waren mir fremd. Aber ich verspürte eine seltsame Neugier und wollte alle Ecken dieser Stadt, die meine Eltern wie Hunderte anderer Menschen aufgrund der unsicheren Lage hatten verlassen müssen, erkunden.
Antik und traditionsbewusst, aber unsicher
In der ersten Woche durfte ich aus Sicherheitsgründen nicht durch die Stadt gehen, doch in der zweiten Woche konnte ich mir einige Sehenswürdigkeiten anschauen. Herat wirkte auf mich wie eine Stadt voll alter Erzählungen, eine Stadt mit Tradition und mit einer großen Geschichte. Antike Häuser und traditionsbewusste Menschen haben viel zu ihrer Schönheit beigetragen.

Aber in der ganzen Stadt waren auch Kriegstrümmer aus den letzten Jahrzehnten zu sehen. Doch trotz all der Kriegsruinen hat sich die Stadt ihre ganz eigene Attraktivität bewahrt. Mit seinen rund 700 Sehenswürdigkeiten könnte Herat zu einem Ziel des Tourismus werden. Dem steht jedoch die mangelnde Sicherheit im Wege. Altertümer wie die Zitadelle Ekhtiar Uddin (Qala-i-Ekhtiaruddin), der Palast von Herat (Arg-e-Herat), die Turmruinen des Musalla-Komplexes, die Malan-Brücke (Pul-e-Malan) oder das Grab des Dichters Khwaja Abdulla Ansari sowie zahlreiche andere antike Orte verleihen der Stadt ihr anmutiges Aussehen. Herat symbolisiert eine Mischung Tradition und Modernität. Es bedarf viel Zeit, nur einen Bruchteil der Sehenswürdigkeiten zu sehen. Oft hinderten mich Sicherheitswarnungen an weiteren Erkundungen der Schönheiten dieser Stadt, was ich dann zutiefst bedauerte. Dann habe ich mich jedes Mal gefragt, wann dieser unsägliche Krieg endlich zu einem Ende kommen wird.
Die Stadt der Farsi-Mystiker und Dichter
Langsam habe ich mich in die traditionsgeprägte Stadt eingelebt, mich an die Lebensumstände gewöhnt und in Alltäglichem verloren. Bislang kannte ich Herat nur aus den Geschichten, die ich von meinen Eltern gehört hatte. Und jetzt, da ich selber da war, lernte ich die einzigartige Gastfreundschaft, von der mir meine Eltern oft erzählt hatten, auch persönlich kennen. Mit der Zeit erfuhr ich, dass Herat nicht nur an antiken Orten und Altertümern reich ist, sondern auch eine Hochburg vieler großen Mystiker und Poeten des Farsi gewesen ist. Viele Farsi-Dichter hatten sich in Herat niedergelassen. Davon zeugen die Grabstätten von Jami, dem größten Mystik-Dichter Herats, oder von Khwaja Abdullah-e-Ansari, bekannt als „der Weise von Herat“ (Piere Herat), um nur einige zu nennen.
Horror in der Stadt der Schönheiten
Das Einzige, was in dieser Stadt fehlte, war die Sicherheit, und das rückte mehr und mehr in meinen Fokus. Ich werde nie vergessen, wie ich eine Explosion hörte, die die ganze Stadt erschütterte. Meine Schwester und mein Vater waren zum Einkaufen gegangen, und ich konnte nur noch daran denken, wo sie wohl sind. Werde ich sie noch sehen? Als ich hörte, dass sich die Explosion im Basar ereignet hatte, war ich absolut schockiert und fühlte den Horror in meinem ganzen Körper. Es war ein so bitterer Moment, alles um mich sah nur noch dunkel aus. Ich hatte mit einem Mal meine Energie und Kraft verloren und wagte mich nicht mehr zu bewegen. Eine Stunde später klingelte es, und vor der Tür standen plötzlich mein Vater und meine Schwester – unverletzt.
Seitdem habe ich immer Angst. Es wurde mir klar, dass viele Herater meine Angst teilen. Das alltägliche Leben der Menschen in Herat ist mit Angst vor Explosionen und Selbstmordanschlägen besetzt. Es war sehr frustrierend für mich, dass eine Stadt voll solcher Schönheiten und Güte so tief in Terror und Horror versunken ist.
In Berlin habe ich heute das Gefühl von Sicherheit. Es ist ein großer Segen. Ich freue mich mit allen Ländern, deren Bürger dieses Gefühl genießen können. Ich hoffe, eines Tages erleben zu können, dass ich mich auch in meinem Land wieder sicher fühle.
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