Zuhause ist da, wo mein Herz ist

Gemälde: Michael Kowarsch

„Home is where my heart is …“, singe ich des Öfteren vor mich hin, denn dieses Lied gehört zum Repertoire meiner allwöchentlichen Singgemeinschaft. Tatsächlich fühlt sich mein Herz an verschiedenen Orten heimisch. Bei der Familie natürlich an erster Stelle, aber auch bei guten Freunden und an Plätzen, zu denen ich eine innere Verbindung habe. Bei einer uralten Buche im Wald. In Prag, wo ich einst studiert und die Stadt erkundet habe. Wenn ich die tschechische Sprache im Alltag höre. Wenn bestimmte Gerichte und Gerüche an Heimat erinnern, wie Quark mit Leinöl oder der Duft von Lebensbaum. Angesichts der Silhouette von Berlin, wenn ich aus dem Urlaub heimkehre und das Bedauern über das Ferienende abgelöst wird von der Vorfreude auf das Zuhause.

Und natürlich in meinem Oberlausitzer Heimatdorf, wo ich meine Kindheit verbrachte. Auch wenn es sich seither komplett verändert hat.

„Wie konntet Ihr das bloß aushalten in dieser Diktatur, in dieser Enge?“, wurde ich immer mal wieder gefragt.

„Welche Enge?“, hätte ich als Kind entgegnet. Hier ist doch alles weit und frei! Ich wuchs in der Gärtnerei meiner Großeltern auf, war immer draußen und liebte es in der kalten Jahreszeit, beim Großvater im Gewächshaus zu sitzen und seinen Geschichten zu lauschen.
Ende Januar feierten wir Vogelhochzeit, einen sorbischen Brauch, der uns Kindern süße Teigvögel bescherte. Wenn im Sommer der Dorfbach zu eng wurde, fuhren wir mit dem Fahrrad zum Baden in einem gefluteten Steinbruch. Jeden Herbst versammelte sich die Großfamilie, um Kraut zu stampfen und die neuesten Klatschgeschichten auszutauschen, die dann im Winter, beim Verspeisen des Sauerkrauts, wieder lebendig wurden. Das ist bis heute so und ein Inbegriff von Heimat.

Von Politik nahm ich als Kind nicht viel wahr. Alles schien geordnet, behütet und selbstverständlich, auch das gelegentliche Pionierhalstuch. Die Mauer war abstrakt und weit weg. Wir lebten im sogenannten Tal der Ahnungslosen, jenem Teil der DDR, der ohne Westfernsehen auskommen musste. Trotzdem machten wir uns unsere Gedanken und lasen viel und zwischen den Zeilen.

Erst als ich zum Studium nach Berlin kam, rückten die Widersprüche in der Gesellschaft stärker ins Bewusstsein. Ich stieß an ideologische Grenzen und wurde in meinem Drang nach Welterkundung ausgebremst. Dennoch wäre ich nie auf die Idee gekommen, die Heimat zu verlassen. Wir hatten gelernt, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen, lebten (mehr oder weniger freiwillig) ursprünglicher, weniger konsumorientiert, enger miteinander. Und immer auf der Hut, die politischen Fettnäpfchen zu umgehen.
In der neuen, wiedervereinigten Heimat mussten wir nach der ersten Euphorie und den Schnupperreisen in die vorher unerreichbar fernen Metropolen Paris, Rom oder London erst wirklich ankommen und lernen, dass Freiheit ihren Preis hat und Mut zum Risiko verlangt. Dass Politiker Teil der Eventkultur sind und zuweilen die Performance über den Inhalt stellen. Dass zwischen den Zeilen nun manchmal weniger steht als in den Headlines. Dass fast alles möglich ist. Und gerade jetzt müssen wir wieder neu begreifen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist.

Um auf das Ausgangsthema zurückzukommen: Heimat sehe ich als weites Feld, das heimatliche Gefühle, eine innige Beziehung, die Sehnsucht nach Geborgenheit und Vertrautheit umfasst. Jeder hat seine eigene Heimat, und doch ist die Welt unser aller Heimat! Unterschiede wird es immer geben, zwischen Ost und West, Nord und Süd, Neuankömmlingen und Alteingesessenen. Es kommt darauf an, dass wir neugierig aufeinander bleiben und aufeinander zugehen. Heimatgeschichten helfen dabei.
In diesem Sinne: Home is where your heart is!

Geschrieben von
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