„Die Heimat vergessen und hier neu beginnen!“

Farida, Farha und Farhad freuen sich, endlich hier anzukommen. Die beiden Mädchen haben schon sehr konkrete Pläne für ihr weiteres Leben hier. Foto: Hareth Almukdad

Farida und Farha blicken zuversichtlich in die Zukunft

Die beiden Mädchen, 16 und 18 Jahre alt, strahlen vor Freude, denn erst Ende letzten Jahres sind sie aus der Wilmersdorfer Notunterkunft in die mit dem Notwendigsten ausgestattete Gemeinschaftsunterkunft nach Lichterfelde gezogen. Am 24. Dezember hat die zehnköpfige Familie aus dem Norden Iraks ihren zweijährigen Aufenthalt in Deutschland gefeiert. Und das Allerwichtigste verrät der zwölfjährige Farhad in gutem Deutsch, das er und seine Geschwister schon gelernt haben: „Endlich das eigene Essen kochen!“ und lässt sich die Funktionen des Herdes in der Küche genau erklären. Was für uns so normal klingt, erklären die Mädchen, die beiden Söhne und der Vater, der sich zu uns an den Tisch setzt:

Fast zwei Jahre waren wir auf der Flucht unterwegs, und zwei Jahre lebten wir in Wilmersdorf, wo wir auch nicht kochen konnten, und jetzt endlich können wir unsere eigenen Mahlzeiten zubereiten.

Zu Hause in Shingal, in der Bergregion westlich von Mossul gelegen, lebte die Großfamilie bis zum 3. August 2014 und betrieb Landwirtschaft. Sie konnte von ihren Erzeugnissen leben, und der Vater erzählt, dass er zusätzlich noch als Vorarbeiter auf dem Bau arbeitete. Dabei zeigt er stolz auf seinem Handy die Aufnahmen neuer Hochhäuser. Und damit er hier als Facharbeiter wieder Fuß fassen kann, lernt er auch mit Unterstützung seiner Kinder die deutsche Sprache. „Und wenn unsere Mama sich nicht mehr so um den Jüngsten kümmern muss, der in Deutschland geboren wurde, lernt sie auch wieder mehr Deutsch“, erzählt Farha lächelnd.

Was war passiert? Farida, Farha, Farhad, die vier anderen Geschwister und die Eltern gehören zur ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden, die sehr abgeschieden leben. Der Schicksalstag war der 3. August 2014, als die Terrormiliz des IS die gesamte Region angriff und Hunderttausende Jesiden, die sie als Sekte ansieht, vertrieb, die Dörfer plünderte, zerstörte und mindestens 5.000 ihrer Frauen, Mädchen und Kinder verschleppte und versklavte. „Wir sollten Muslime werden, haben sie gesagt, und das wollten wir nicht. Und nur kurz haben wir überlegt, ob nur ein Teil der Familie fliehen soll, aber dann haben wir uns zusammen auf den Weg gemacht, ein Cousin kam auch noch mit, und zu zehnt sind wir jetzt hier endlich angekommen“, erzählen alle aufgeregt und der Vater bestärkt noch einmal kopfnickend:

Wir mussten alle zusammen gehen und zusammen bleiben, wir brauchen uns.

Für die Familie aus dem Nordirak war das wichtigste, dass sie alle zusammenbleiben können. Nach zwei Jahren auf der Flucht und zwei Jahren in der Notunterkunft können sie nun endlich auch wieder zusammen kochen. Foto: Hareth Almukdad

Dicht gedrängt sitzen alle über einer großen Landkarte und fahren mit den Fingern den beschwerlichen und fast zweijährigen Fluchtweg nach: Kurdistan, Türkei, Griechenland, die Balkanländer, Österreich und Deutschland. Mit zitternder Stimme, großen Augen deuten alle durcheinander schlimme Erlebnisse an, berichten von schrecklichen Träumen, deren Bilder sie heute noch nachts verfolgen. „Wir wollen nur noch vergessen, das ist nicht mehr unsere Heimat“, schütteln sie ablehnend den Kopf. „Zu viele Menschen sind dort gestorben. Wir wollen hier lernen, studieren und arbeiten“, sind sich Farida und Farha sicher. Farha macht eine Ausbildung als Arzthelferin, und Farida will Ärztin werden, und so eifrig wie sie lernt, kann das auch funktionieren.

Außerdem wollen sie wieder richtig schwimmen lernen, das sie seit ihrer schrecklichen Überfahrt von Izmir nach Thessaloniki verlernt haben.

„Und wir werden am 3. August wieder weiße T-Shirts anziehen, um am diesjährigen Gedenktag des Völkermords an den Jesiden wieder an der Demonstration vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor in Freiheit teilzunehmen“,sind sich alle einig.

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