Das Unterrichten in Alphabetisierungskursen ist pädagogisch äußerst anspruchsvoll
Eine fremde Sprache zu erlernen ist nicht einfach. Die meisten bedienen sich verschiedener Lernmethoden und -strategien: Sie schreiben sich Karteikarten, führen Vokabelhefte, fertigen sich Grammatikübersichten an, treffen Mitschüler zum gemeinsamen Lernen und Hausaufgaben machen oder lesen Bücher in der Fremdsprache. Schwieriger jedoch ist das „Lernen“ zu erlernen. Wer nie in einer Schule war, der hat keine Lernmethoden vermittelt bekommen. Aber auch dieses kann man noch steigern: Kristin Möller lehrt das Lernen lernen.

Ihre zwölf Schüler sind aus Syrien geflüchtet, sind Männer zwischen 40 und 60 Jahren, hatten wenig bis keine Schulbildung bekommen, können nur z.T. ihre Muttersprache lesen und schreiben und müssen nun so schnell wie möglich Deutsch lernen – auch das Lesen und Schreiben. Im sogenannten Alphabetisierungskurs geht es aber zuerst um das Schaffen der Voraussetzungen dafür: das Lernen lernen, die neue Schrift lesen und schreiben können und die Stärke aufbringen, die man braucht, um nicht auf halber Strecke aufzugeben. „Nicht nur ich, sondern ganz besonders meine Schüler müssen sehr viel Geduld haben“, erklärt Frau Möller. Mit Bildertafeln tastet man sich Buchstabe für Buchstabe durch das Alphabet: A wie Ampel oder Apfel. Besonders am Anfang passiert vieles ohne Stift und Papier. Welche Worte mit einem A höre ich im Alltag? Erst nach fünf Monaten waren Frau Möllers Schüler in der Lage, Eigennamen wie z.B. U-Bahnhöfe oder Beschriftungen in Supermärkten lesen zu können. Grammatik kommt im Alphabetisierungskurs nicht vor. Die mündliche Kommunikation üben die Schüler außerhalb des Kurses. Im Kurs „malen“ die Teilnehmer anfangs sehr angestrengt und ungelenk Buchstaben für Buchstaben, auf einer Linie, die Großbuchstaben etwas höher. „Einige mogeln sich um die Großbuchstaben herum, indem sie die Kleinbuchstaben am Satzanfang einfach größer schreiben. Auch fällt es ihnen schwer Substantive zu erkennen“, beschreibt Kristin Möller ihre Beobachtungen. „Meine Klasse ist sehr motiviert. Das ist nicht überall so. Denen macht es spürbar Spaß. Wir sind fast schon Freunde, teilen Erlebnisse, und ich helfe gern auch bei Bürokratie. Gerade bei Handyverträgen und bei der Wohnungssuche sind sie mangels Schriftkenntnissen aufgeschmissen.“
Als sie einmal bei der Familie eines Schülers zu Gast war, erfuhr sie, wie sie leben, was sie von ihrer ursprünglichen Kultur mitnehmen konnten und wie sich diese mit der neuen Kultur im Alltag sinnvoll ergänzt. Sie erzählten auch von ihrer Heimat und ihrer Flucht. „Die drei Söhne können viel besser Deutsch als ihr Vater. Der Zehnjährige erzählte in korrekter Vergangenheitsform.“ Der Inhalt seiner Geschichte waren jedoch bittere Kriegserfahrungen.
Bis Juni 2018 wird sie versuchen, ihre Klasse auf das Niveau A2.2 zu bringen. Danach wird sie eine neue Klasse bekommen. Ihre jetzigen Schüler wird sie vermissen. „Sie und ich brauchten viel Humor – besonders am Anfang. Ich liebe die deutsche Grammatik, und das verlangte ihnen viel Humor ab. Im Gegenzug staunte ich nicht schlecht, als meine Schüler mitten im Unterricht ihre Gebetsteppiche ausrollten und neben meinem Lehrertisch beteten.“
Für einen weiteren Kurs wünscht sie sich auch weibliche Teilnehmende. „In den ersten Monaten hatte ich mal eine Frau im Kurs – nur eine! Ich habe sie besonders unterstützt und motiviert. Nach ein paar Wochen kam sie trotzdem nicht mehr.“
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