Die Zeit im eritreischen Gefängnis war für den jungen Journalisten und Dichter Tsegay Mehari wie eine Universität des Lebens
In der eritreischen Literatur gefällt mir unter den vielen Dichtern einer besonders gut: Es ist Tsegay Mehari, dessen Werk ich hier vorstellen möchte. Er war in einer Gruppe, die sich „at night club“ nannte, trat häufig im Fernsehen auf, schrieb für eine eritreische Zeitung und sendete auch Beiträge im Radio. Weil er in einem Gedicht die Regierung kritisierte, kam er im Frühjahr 2009 mit gerade mal 23 Jahren ohne Gerichtsentscheid ins Gefängnis.

Dort saß er vier Jahre, ohne je verurteilt worden zu sein. Als er wieder frei war, hat er sich – wie viele junge Eritreer – für die Meinungs- und Pressefreiheit eingesetzt. Daraufhin musste er schnell das Land verlassen. Wie viele Menschen, die migrieren müssen, wollte er nicht gehen, konnte aber auch nicht bleiben. Er hatte keine andere Wahl als wegzugehen, wenn er nicht wieder verhaftet werden wollte. So kam er über die Sahara und das Mittelmeer nach Europa und lebt seit 2014 in Schweden im Exil.
Der junge Dichter hat nicht nur für seine Freiheit gekämpft, sondern stellte sich auch der Herausforderung, in einem neuen Land Fuß zu fassen. Er hat die Sprache gelernt, eine Ausbildung als Krankenpfleger in der Psychiatrie gemacht und arbeitet heute als Psychiater, darüber hinaus hat er geheiratet und ein Kind bekommen. In seinem Buch „Pots of my mother“ veröffentlichte er seine Gedichte, die sich um Freiheit und Liebe drehen. Die meisten davon hatte er im Gefängnis auf Zeitungs- und Toilettenpapier im Kerzenlicht oder bei Mondschein niedergeschrieben. Das Buch wurde in Tigrinya und Englisch sowie auf Portugiesisch veröffentlicht.
Mir bereitet es viel Freude, Tsegay Meharis Gedichte immer wieder zu lesen. Die folgende kurze Passage aus dem Gedicht „Nacht, so königlich“, ist eine Liebeserklärung an den Mond, der für ihn im Gefängnis ein Symbol für die Kraft geworden ist, die aus der Dunkelheit erwächst.
Nacht, so königlich
Oh, Du bezauberst mich
mit Deinem Lichterkranz
Lächeln des Universums
Auf welchem meine Augen ruhen.
Eine Freude für meinen Geist
Die mir Kraft gibt
Ich beobachte Dich mit Liebe
Bis zuletzt, zum Ende meines Lebens
[…]
Aus: Tsegay Mehari: Pots of my Mother. Selected Poems, 2017, Editorial Novembro, Englischer Originaltitel „Queen of the night“, S. 213, aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Rita Zobel.
Im Gedicht „Der Flötenspieler“ geht Tsegay Mehari auf seine Zeit im Gefängnis ein, in der ein Aufseher manchmal Flöte spielte.
Der Flötenspieler
Hörst Du mich?
Mir laufen die Tränen
Der Klang Deiner Flöte rührt mich
Hör auf, bitte
An die, die ohne Flötenklang gerufen wurden
An die, die an der Front standen
An die muss ich denken
Gedanken und Taten meiner Verehrten und Geliebten
rufst Du wach und rührst mich
Mein Inneres ist ohne Nahrung
Ich bin mit Erinnerungen gesättigt
Die gesamte Erinnerung
An die Verehrten und Geliebten meines Lebens
Und jetzt Du
Rühre es nicht an mit dem Klang deiner Flöte!
Wenn doch
Ruf den Leoparden
Damit er sieht und bezeugt
Dass auch Menschen in Erdlöchern hausen
Dass er für uns zeugt
Dass Menschenkinder noch schlimmer sind
Damit er es weiß … sollst Du ihn rufen!
Der Klang Deiner Flöte ist wahrlich wie Gesang
Von Meistersängern, Lieder von Engeln
Geht durch mein Herz wie die Klänge
Von Davids Harfe
Mein Innerstes ist bewegt
Berge von Erinnerungen driften mein Herz in den Abgrund
Du Flötenspieler
Herzensdränger, Rührer von Erinnerungen
Klangläuter meiner innersten Gefühle!
Es ist mir nicht bange, hör nicht auf!
Lass mich Deine Lieder hören
Meine Tränen sollen laufen
Es ist mir leichter, wenn die Tränen fließen.
Aus: Tsegay Mehari: Pots of my Mother. Selected Poems, 2017, Editorial Novembro, englischer Originaltitel: „Shambko Man“ (S. 306), ins Deutsche übertragen von Tesfu Kidane
In Eritrea haben wir alle lange für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft. Jeder hat dafür bezahlt. Heute werden wir unterdrückt. Es gibt keine Freiheit, keine Gerechtigkeit. Unser Diktator hat Angst vor der Kunst und zensiert alles, was ihm nicht gefällt. Die Kunst ist ihm zu ausdrucksstark. Deswegen werden vor allem auch Künstler unterdrückt.
Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Tigrinya