Das Ticket in die Zukunft

Der Jugendmigrationsdienst im „Café VIA“ im Wedding ermöglichte Ibrahim ein dreiwöchiges Praktikum. Tatsächlich kennt er die beiden Mitarbeiterinnen und Gäste des JMD schon seit über einem Jahr. Foto: Stefan Hage

Im sozialen Bereich werden dringend Leute mit arabischen Sprachkenntnissen gesucht – DIE Chance für junge Geflüchtete

Zahlreiche soziale Einrichtungen suchen derzeit nichts dringender als Erzieher*innen. Am liebsten noch mit arabischen und türkischen Sprachkenntnissen, jung, belastbar. Am besten sogar noch männlich und vielleicht auch noch mit Fluchthintergrund – aber nein, das wäre jetzt zu viel geträumt. Wer das erfüllt, der hat es: das Ticket in die Zukunft!

Ibrahim Hamada ist 22, in Aleppo geboren, flüchtete bereits 2012, um dem Kriegsdienst zu entkommen, in die Türkei und kam 2016 in Deutschland an. Zu diesem Zeitpunkt konnte er gut Türkisch sprechen und hat nun – nach zwei Jahren in Deutschland – mindestens schon ein B2-Sprachniveau in Deutsch. Ibrahim ist alleine geflüchtet. Mehrere seiner Brüder sind vor dem Krieg geflohen, zwei waren sogar schon in der Armee und desertierten. Der Rest der Großfamilie verließ die Stadt Aleppo und lebt auf dem Dorf. Nach Deutschland ist er alleine gegangen. Hier fällt er unter das Klischee der allein geflüchteten jungen Männer, vor denen so viele Deutsche Angst haben. Als er 2016 vor den verschiedenen Behörden auf seine Registrierung wartete, campierte er vor dem LaGeSo. Als er dann einen Schlafplatz in einer Turnhalle bekam und merkte, dass er in Berlin ankommen kann und aufgenommen wird, begann sich Ibrahim für die deutsche Gesellschaft und ihr soziales System zu interessieren. „Mich interessierte alles: wie die Polizei arbeitet, was hier für Geschichten zwischen den vielen verschiedenen Menschen zu hören sind, warum Geflüchtete in arabischen Clans kriminell werden, wie sich die Leute miteinander verhalten – einfach alles!“ Aus diesem Interesse heraus, so beschreibt Ibrahim, entdeckte er seine soziale Ader. „Ich bin mit Leuten zum Arzt gegangen oder zu einer Behörde, habe auch übersetzt und geholfen, wo ich konnte.“ Später ergänzt Ibrahim: „In Syrien findet fast alles Soziale und alles Helfen in der eigenen Großfamilie statt. Die Kinder und auch die Alten und alle, die aus irgendeinem Grund nicht arbeiten können – alle werden von der Familie betreut. Auch Hausaufgabenhilfe, Nachmittagsbetreuung und vieles mehr. Das staatliche soziale System funktioniert nicht – so wie gar nichts funktioniert, wenn Krieg ist.“

Im August 2018 begann Ibrahim eine zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten. Im September machte er dafür ein ausbildungsbegleitendes Praktikum beim Jugendmigrationsdienst im Wedding. „Als ich erst wenige Monate in Berlin war, kannte ich niemanden hier. Ich kam nach dem Freitagsgebet hier beim JMD vorbei und las im Schaufenster auf Zetteln ‚Hausaufgabenhilfe, Ausbildung, Beratung für Geflüchtete‘ usw. So bin ich einfach mal reingegangen und wurde sehr freundlich aufgenommen. Seitdem bin ich fast jeden Tag hier gewesen. Ich habe Türken, Kurden, Tunesier, Araber, Afrikaner kennengelernt. Und als ich einen Praktikumsplatz brauchte, habe ich es zuerst hier im Café Via versucht. Mir gefällt das sehr!“

Ibrahim lebt mit zwei Landsleuten in einer WG. Für die Miete jobbt er in verschiedenen Dienstleistungsbereichen. Nach seinem Abschluss zum Sozialassistenten wird er weiter lernen: „Vielleicht versuche ich Erzieher zu werden oder studiere soziale Arbeit.“ Und wie wird er in zehn Jahren leben? „Ich möchte einen guten Job im sozialen Bereich, eine Wohnung in Tegel oder Pankow, Frau, zwei Kinder.“

Ibrahim weiß, dass man in sozialen Berufen nicht reich wird. Es kann andererseits nicht mehr lange dauern, bis ein Bewerber mit seinem Profil auch guten Lohn erwarten darf. Es handelt sich ja um einen extremen Mangelberuf oder anders gesagt, um das sagenumwobene „Ticket in die Zukunft“.

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