Berlin ist keine Stadt, durch die man einfach so durchspaziert. Genauso wenig ist es eine Stadt, in der man als Tourist ein bisschen umherschlendert, um anschließend wieder mir nichts, dir nichts von dannen zu ziehen. Diese Stadt hat ein ganz bestimmtes Flair. Es lässt sich nur schwer in Worte fassen, gewiss aber weiß jeder, der schon einmal in Berlin war, was ich meine.
Mittlerweile sind zwar schon fast vier Jahre ins Land gezogen, seitdem ich zum ersten Mal hierherkam, dennoch verblüfft mich die Widersprüchlichkeit der Berliner Bezirke nach wie vor. In den Ecken und Plätzen der Stadt tummeln sich die Reichen neben Armen und Obdachlosen. Gleichzeitig herrscht unter den Leuten hier eine Einfachheit, die sich an ihrer Kleidung, ihrem Essen und auch an ihren Gesichtern erkennen lässt, die Zuversicht und Zufriedenheit ausstrahlen. Daneben begegnen einem hier – insbesondere in den U-Bahn-Stationen – freilich auch verdrießliche Gesichter, die eine unheilvolle Aura umgibt.
Hier werden Gebäude abgerissen, da werden komplett neue aus dem Boden gestampft, und die alten Bauten in einigen Bezirken zeugen von den Geschehnissen vergangener, aber auch heutiger Tage. Auch die vielen unglaublich modernen Bauwerke und Plätze stechen ins Auge. Sie vermitteln einem das Gefühl, man befinde sich in einer rastlosen urbanen Metropole. Andererseits sorgen die vielen Bäume und Parks, die in der ganzen Stadt über große Flächen hinweg zu finden sind, für ausreichend Grün. Und trotz der weltstädtischen Größe der Stadt herrscht in Berlin so etwas wie eine intime Atmosphäre. Hier existieren alle erdenklichen Lebensstile nebeneinander und finden sich zahllose Angebote für alle nur denkbaren Lebensbereiche. Das Berliner Nachtleben mit seinen allerorts vorhandenen Nachtclubs wiederum hat der Stadt den Beinamen „Stadt der Nacht“ eingebracht.
Berlin ist eine Stadt der Toleranz, voller unterschiedlicher Denk-, Verhaltensund Lebensweisen. Hier leben viele Atheisten. Darüber hinaus vereint sie alle möglichen Religionen. So gibt es unter anderem Gebetsstätten für Anhänger des Christentums, des Islams, des Judentums und auch des Buddhismus. Neben vielfältigen Parteien finden sich hier die unterschiedlichsten politischen Strömungen. Berlin ist auch eine Stadt der Freiheit: Hier kann jeder seine persönliche Freiheit so ausleben, wie es ihm gefällt – solange er mit seinem Verhalten andere nicht belästigt oder deren Sicherheit und die Sicherheit der Stadt nicht gefährdet.
Einmal verließ ich Berlin für einen Besuch bei Freunden in Holland. Zu jenem Zeitpunkt lebte ich bereits seit einem Jahr in der Stadt. Obwohl ich nicht mehr als drei oder vier Tage weg war, sehnte ich mich bereits nach ihr zurück. Zunächst konnte ich auch gar nicht verstehen, warum. Als ich dann aber wieder zurück war, fiel mir auf, wie sehr mir ihr Flair, ihre Gesichter, ihre Straßen schon vertraut waren. Das war es wohl, was ich während der drei, vier Tage vermisst hatte.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass in einigen Ecken von Berlin das gleiche Flair herrscht wie früher in den Vierteln von Damaskus. Damaskus, die Stadt, in der ich fünfzig Jahre meines Lebens verbrachte und die ich während all dieser Jahre bis auf ein paar wenige Tage niemals verlassen hatte. Sie war der Stabilitätsgarant in meinem Leben. Heute ist Damaskus nicht mehr das, was es einmal war. Der Stadt fehlt es an Warmherzigkeit und Toleranz, an ihrer treuherzigen Seite, die einst dem Leben der einfachen Leute Platz bot.
Das Unterbewusstsein ist oft ein Ventil für unsere Wünsche. Wohl deshalb bilde ich mir manchmal ein, ich wäre in Damaskus – mitten in Berlin, der Heimat auch jener, die keine Heimat haben.
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