Unfriede auf den zweiten Blick

Foto: Hareth Almukdad
Der Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien gilt seit Herbst 2018 offiziell als befriedet — tatsächlich aber enthält der Friedensvertrag keinen Frieden, meint Kesanet Abraham

Das friedliche Ende des Jahrzehnte langen Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea 2018 wurde zum Anfang des Jahres weltweit von vielen Medien als gutes Beispiel zelebriert, wie Staatsmänner und selbst Diktatoren bereit sind, Konflikte ohne Waffen zu einem „Happy End“ zu führen. Noch immer aber flüchten Eritreer, noch immer wird Eritrea als nicht sicher eingestuft. Dies ist Grund genug, genauer nachzufragen. Kesanet Abraham ist im Team von kulturTÜR und beantwortete Fragen zu seiner Heimat:

WIEVIEL FRIEDEN STECKT WIRKLICH IN DIESEM FRIEDENSVERTRAG?

Frieden ist gut – ist für jeden gut. Wir wollen den Frieden sehr – schon seit Jahrzehnten. Aber dieser Friedensvertrag enthält keinen Frieden. Es geht doch um die Menschen dort und die spüren das nicht. Das kleine Stückchen Land (Badme), um das so lange und so blutig gekämpft wurde, gehört nun offiziell wieder zu Eritrea – aber in der Realität ist es nicht so. Es gehört nicht den Eritreern. Es ist immer noch von Äthiopien besetzt. Wenn dort Frieden sein soll, muss der Friede in Gänze gemacht werden – so dass es auch die Menschen spüren können.

WORAUF GRÜNDET DIESE SKEPSIS?

Äthiopien will immer das Meer, aber die Küste gehört zu Eritrea. Nun soll eine Straße gebaut werden, die Äthiopien in Eritrea einen Meerzugang gibt. Iseyas Afwerki ist ein Diktator. Er tut nichts im Sinne Eritreas – seines Volkes. Er tut alles nur für sich. Die Menschen in Eritrea wissen nichts, von dem, was er mit dem neuen Äthiopischen Präsident Dr. Dinois Abiy Ahmed vereinbart hat. In Eritrea sind noch immer die politischen Gefangenen in den Gefängnissen. Es ist niemand frei gelassen worden. Es gibt noch immer keine Pressefreiheit, keine Meinungsfreiheit und keine Religionsfreiheit.

WAS ABER IST DENN NUN DER FRIEDEN, DER HIER SO GELOBT WIRD?

Er hat die Grenze zu Äthiopien geöffnet – nun aber fliehen noch viele weitere Eritreer und sie fliehen vor der Diktatur – genau so wie bisher auch. Und warum war die Grenze geschlossen? Doch nur wegen dieses Krieges um dieses kleine Stück Land. Ich finde keine Worte. Dieses Regime ist kriminell, wie eine Mafia, man kann nicht sehen, was hinter dem Vorhang gemacht wird. Er müsste gehen, aber er wird nicht gehen. Also müssen die Eritreer etwas tun. Unter dem Schlagwort „ENOUGH“ verbünden sich endlich unterschiedliche Oppositionsströmungen. Der Diktator verkauft unser Land – das verbündet alle gegen ihn – auch die Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, etwas zu sagen.

DAS KLINGT, ALS OB DIESER FRIEDENSVERTRAG DER BEGINN EINES WIDERSTANDES IST.

Das Regime schläft nicht. Sie tun weiter alles, um an der Macht zu bleiben. Sie unterwandern die Opposition, um sie zu teilen. Ich bin sehr stolz, auf den Widerstand, der sich gerade aufbaut. Alle Eritreer konnten hören, wie er bei der Verkündung des Friedensvertrages gesagt hat, „Wir haben nichts verloren.“ Das sagt er so einfach. Aber viele Zehntausend Menschen sind gestorben für diesen Grenzkonflikt. Ich sage aber „eine starke Grenze, macht eine starke Nachbarschaft“. Er will Eritrea und Äthiopien vereinigen, aber das wollen die Eritreer nicht.

ABER IST EINE VEREINIGUNG WIE SIE DEUTSCHLAND VOR 30 JAHREN ERLEBT HAT KEIN GARANT FÜR EINEN FRIEDEN?

Deutschland war geteilt. Es war aber EIN Land. Hier aber sprechen wir von zwei Ländern und nicht von einem, das geteilt war. Wenn es wirklich ein Land gewesen wäre, warum war Eritrea dann italienische Kolonie und Äthiopien nicht? Äthiopien war gar keine Kolonie. Es sieht so aus, als ob Eritrea verkauft wird.

DU BIST VOR VIER JAHREN ALLEN GEFAHREN ZUM TROTZ GEFLÜCHTET. WIE IST ES FÜR DICH, DAS ALLES AUS DEM EXIL ZU BEOBACHTEN?

Es gibt viele Schriftsteller, die stark sind und ihre Meinung sagen. Es gibt viele Communities, die sich engagieren. Es wird viel darüber geschrieben. Das Internet ist voll davon. Ich höre alles. Ich verstehe, welche Seite wofür kämpft. Es geht Dr. Abiy nicht um die Eritreer – es geht nur um den Zugang zum Meer und der ist viel Gold wert. Den im Exil lebenden Eritreern stehen alle Informationen zur Verfügung. Die Eritreer im Land sind hingegen isoliert. Es gibt allerdings inzwischen einen Fernsehsender, der nach Eritrea sendet – nicht AUS, aber NACH Eritrea. Dieser Sender ist frei. Ich möchte nicht nur zuschauen.

WIE WIRD ES NUN MIT ERITREA WEITERGEHEN?

Ich bin voller Hoffnung. Wir bauen unser Land, nicht er. Ich weiß noch nicht den Weg, aber doch das Ziel. Ich wünschte, wir fänden eine Abkürzung, die zu echtem Frieden führt.

Das Interview wurde im April 2019 geführt.

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