EIN REDAKTIONSGESPRÄCH VOM 21.08.2019 – AUFGEZEICHNET VON JULIANE METZ
Einmal wöchentlich trifft sich das Redaktionsteam von kulturTÜR, um die Beiträge für das nächste Heft zu besprechen und miteinander über Themen zu diskutieren, die es aktuell bewegen. Bei der Vorbereitung für die aktuelle Ausgabe teilten neun Redaktionsmitglieder ihre persönlichen Gedanken zum Thema Klima.
KESANET: Mich beschäftigt gerade sehr das Sterben der Menschen im Mittelmeer. Ich selbst bin ja auch über das Mittelmeer nach Deutschland gekommen. Ich kann verstehen, dass man darüber diskutiert, ob weitere Geflüchtete nach Deutschland kommen sollen. Aber währenddessen sterben täglich Menschen! Das finde ich unerträglich.
JULIANE: Bei der Diskussion um die Seenotrettung spielt sicher Angst eine Rolle. Man meint vermutlich, es könnte als Einladung verstanden werden, wenn man alle rettet.
MORTAZA: Man muss sie aber retten! Man kann die Menschen doch nicht sterben lassen, nur aus Angst, dass dann noch mehr kommen. Das ist unmenschlich.
YVONNE: Das Ganze ist sowieso nicht aufzuhalten. Europa muss sich darauf einstellen, dass noch viel mehr kommen werden, die ihr Leben riskieren, weil das Klima sich so stark wandelt.

SAKINA: Im Sudan gab es kürzlich schlimme Überschwemmungen. Sehr viele Menschen sind betroffen, auch in der Hauptstadt. Schulen mussten geschlossen werden, weil sie einsturzgefährdet sind. Es wird jedes Jahr schlimmer! Wir haben eine neue Regierung, vielleicht wird sie die Situation verbessern. Wir brauchen im Sudan dringend Maßnahmen gegen den Klimawandel.
YVONNE: Im Iran gab es dieses Jahr auch schlimme Überschwemmungen. Früher gab es das nur in bestimmten Gebieten, doch jetzt waren Dreiviertel des Landes betroffen. Die Regierung hat da lange das Falsche getan, was Bauen angeht, und jetzt kommt der Klimawandel dazu.
RITA: Seit dreißig Jahren wird über den Klimawandel geredet, es gab zig Sitzungen auf internationaler Ebene. Und was passiert? Viel zu wenig!
MORTAZA: Ja, es ist ein globales Problem, das eine gemeinsame Lösung braucht. Doch bisher ist man da nicht weiter gekommen! Das ist eine große Gefahr für die Welt. Es nutzt nichts, wenn nur Deutschland etwas macht und andere Länder nicht.
RITA: Naja, es gibt immer Länder, die nicht mitmachen, aber dann muss man vielleicht mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn man immer auf eine gemeinsame Lösung wartet, passiert gar nichts.
MORTAZA: Ja, aber wenn es nötig ist, kann man Druck machen.

NILA: Ihr meint, Druck machen ist hilfreich? Wie wäre es, wenn Politiker stattdessen Leidenschaft wecken und Mut machen würden? Wenn man immer nur Verbote ausspricht, wehren sich die Menschen. Warum nicht Anreize schaffen und Leidenschaft wecken, zum Beispiel Preise verleihen oder Gutscheine verteilen? Das ist besser als Bußgelder. Man soll nicht so viel fliegen, da und dort darf man nicht parken… das will keiner hören. Eigentlich funktioniert das wie bei Kindern: „Wenn du das und das machst, gebe ich dir ein Geschenk”, anstatt Verbote aussprechen.
YVONNE: Die Grünen hatten das Thema Umweltschutz von Anfang an auf ihrer Agenda. Ich bin damals in den 80er-Jahren noch bei den großen Demonstrationen mitgelaufen. Aber sie wurden belächelt, das seien Ökos, die stricken nur und essen Müsli…
RITA: Die Grünen wollten einen Tag einführen, an dem man kein Fleisch ist. Das ist völlig niedergemacht worden. Sie wollten Tempo 30 in Berlin einführen! Daraufhin sind sie nicht wiedergewählt worden. Das zeigt, so funktioniert es leider nicht. Auf Freiwilligkeit kann man nicht setzen.
MORTAZA: Wir müssen zwei Sachen unterscheiden: Politik und Menschen. Auf wen müssen wir Druck ausüben? Es gibt Politiker ohne Interesse am Klimawandel, so wie Donald Trump. Denen muss man Druck machen. Eigentlich ist Trump doch nur eine Person, und daneben gibt es die ganze andere Welt!
JULIANE: Irgendwie habe ich das Gefühl, das gesellschaftliche Klima wird insgesamt rauer. Ist euch das schon aufgefallen? Die Zahl der Flugreisen steigt, anstatt zu sinken. Manche scheinen zu denken: „Ich muss noch schnell möglichst viel reisen, bevor es mir verboten wird.”
MORTAZA: Die Grünen behaupten, sie seien eine umweltfreundliche Partei, aber sie haben auch keinen Plan. Sie sagen: Flüge? Teurer machen! Fleisch? Teurer machen! Wenn ein Kurzstreckenflug 1.000 Euro kostet, fliegen reiche Menschen trotzdem weiterhin!
RITA: Ja, aber der Preisunterschied zwischen Flug und Bahn ist einfach zu groß. Die Bahn muss günstiger werden, während die Flüge teurer werden müssen.
YVONNE: Die Bahn wurde an die Börse gebracht und kaputt gespart. Hätte man frühzeitig in den öffentlichen Personennahverkehr und die Bahn investiert, um sie gegenüber teureren Flügen für Reisende attraktiv und bezahlbar zu machen, dann würden die meisten sagen: „Natürlich fahre ich mit dem Zug, das ist ja günstiger”. Stattdessen hat das Geld der Politik diktiert. Das muss meiner Meinung nach rückgängig gemacht werden, man muss die Bahn subventionieren und weiter ausbauen.
ALI: Also, wenn ich Präsident wäre, würde ich es folgendermaßen machen: Ich würde eine Auszeichnung für Städte einführen, die sich um den Klimaschutz verdient gemacht haben.
RITA: Die klimaneutralste Stadt!
ALI: Genau! Dann würde es ein natürliches Wetteifern geben. Das hätte Vorbildcharakter und könnte irgendwann auf jedes beliebige Land der Welt übertragen werden.
HARETH: Ich fände es gut, wenn z.B. die Kinder in der Schule eine Stunde pro Woche über das Klima diskutieren würden. Ich setze wenig Hoffnung auf die älteren Generationen, eher auf die Kinder. Sie sollten früh ein Bewusstsein dafür entwickeln.
YVONNE: Da hab ich gestern im Supermarkt ein tolles Beispiel erlebt. Eine Mutter war mit ihrer Tochter in der Obstabteilung. Die Mutter nimmt ein Paket eingeschweißte Erdbeeren in die Hand. Das Mädchen, vielleicht neun Jahre, guckt sie an und sagt: „Mama, hast du eigentlich gesehen, wieviel Plastik da drum ist? Wir nehmen die hier, die sind lose.” Darauf sagte die Mutter: „Aber guck mal, was die kosten!” Diese kleinen Kinder werden schon sensibilisiert durch die Fridays-for-Future-Bewegung. Der Lebensmittelhandel muss dazu gebracht werden, die Verpackungen zu reduzieren und es sollte möglich sein, eigene Verpackungen mitzubringen.
JULIANE: Das ist doch ein Beispiel für etwas, das machbar ist, auch relativ schnell: Verpackungsmüll reduzieren. Es ist allerdings die Frage, ob die ganze Entwicklung schnell genug geht, um das Klima zu retten.