Irioweniasi – Faden des Mondes

Ein Hinweis auf den spanischen Film „El hilo de la luna“

 

„Irioweniasi: das heißt der ‚Faden des Mondes‘. Das ist der Name, den mir mein Großvater gab, um mich mein Leben lang zu beschützen. Denn niemand ist so stark, dass er den Mond an einem Faden hinunter auf die Erde ziehen könnte.” Dies ist die Geschichte einer Frau, die die Sehnsucht nach Sicherheit und Hoffnung ausdrückt. Ein Wunsch, den ihre Schicksalsschwestern teilen und der so stark ist, dass aus ihm Reisen über Kontinente gesponnen werden.

In dem spanischen Dokumentarfilm „El hilo de la luna” erzählen Frauen von ihren Erfahrungen und der Kraft, die sie benötigen, um ihre Hoffnungen aufrecht zu erhalten. Der ‚Faden des Mondes‘, der dem Film seinen Namen gibt, zieht sich durch den Film wie die Schritte der Frauen, die ihren Weg von Nigeria oder Marokko bis nach Spanien gehen.

Er ist gebunden an eine Heimat, die keine Perspektiven bietet; in der nur mit geschlossenen Augen geträumt werden kann – von einem fernen Land, in dem Milch und Honig durch die Landschaft fließen und Frauen alle Türen zum Leben geöffnet werden. Diejenigen, die es nicht mehr aushalten, keine Familie mehr haben oder zu Hause zu einem Leben als Sklavin gezwungen werden, werfen ihren Faden aus und gehen mutig einer Zukunft entgegen, die sie nur aus Geschichten kennen.

Eine Wahrheit erzählt ihnen keiner vor dem Beginn ihrer Reise: „Dein Ticket nach Europa wird dein Körper sein.“ Das ist der Preis der Reise – Händler, die in den Flüchtlingszentren, Grenzanlagen, Häfen stehen und den Frauen die Überfahrt anbieten, wenn sie ihren Körper zum Tausch geben. Lager, aus denen sie nicht fortkommen und in denen jede Nacht ein anderer Mann in ihr Zelt steigt. Männer, die ihnen sagen, dass sie Schutz bieten können, sie vergewaltigen und dann nie wieder erscheinen.

Frauen, die weinen, wenn sie sehen, dass ein neues Mädchen ankommt und den gleichen Misshandlungen ausgesetzt wird, wie sie selbst. Frauen, die sich halten und schreien, aber doch nicht wissen, was sie tun sollen, um sich zu beschützen, weil sie nichts besitzen und vor allem, weil sie eines um keinen Preis aufgeben wollen: die Hoffnung, den Schmerz hinter sich zu lassen und endlich in Europa anzukommen. Frauen, die ihre Fäden immer noch an keinem sicheren Ort festbinden konnten – auch in Europa nicht, wo sie nicht willkommen geheißen und geheilt werden, sondern weiter mit ihnen Handel getrieben wird. Dort arbeiten sie auf den Farmen an der Mittelmeerküste oder putzen die Häuser reicher Familien. Sie werden versteckt an Orten, über die lieber geschwiegen wird.

Im Film „El hilo de la luna“ entfernt das spanische Team aus Künstlerinnen und Therapeutinnen das prekäre Tuch des Schweigens. Die Regisseurinnen Esperanza Jorge Barbuzano und Inmaculada Antolínez Domínguez treffen auf Frauen aus Nigeria, Marokko und Spanien und ermutigen sie, die Lügen zu enthüllen, die sie auf ihrer Reise begleitet haben. Bilder zum Ausmalen helfen, um die Wunden sichtbar zu machen, die viele Frauen auf ihrem Körper tragen und unter Scham verstecken. So können sie dokumentieren, ohne reden zu müssen, wenn sie keine Worte haben oder Angst, jemand könnte sie erkennen, weil sie immer noch bedroht werden.

Künstlerisch und klar, mit starken Stimmen wird in „El Hilo de la Luna“ eine Botschaft vermittelt, die alle Orte erreichen sollte, zwischen denen sich die Fäden der Hoffenden spannen. Nicht um sie vom Reisen abzuhalten, sondern um ihnen mit auf den Weg zu geben: „Informiere dich, rede mit deinen Schwestern, pass auf dich auf und suche Hilfe, wenn dir Unrecht geschieht. Niemand hat Anspruch auf deinen Körper; er gehört nur dir und ist dein Recht.

 

Der Film „El hilo de la luna“ wird gerade an Universitäten und kulturellen Zentren in Andalusien gezeigt. Die kulturTÜR-Autorin Janneke Campen berichtet von dort. Wir hoffen, den Film auch bald in Berlin zeigen zu können, wie vor kurzem die Dokumentation #387 bei der es um die Identifizierung von Ertrunkenen im Mittelmeer ging.

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