Das über Jahrhunderte andauernde Babysitting Afrikas

Gastbeitrag von Robel Afeworki Abay

Ich bin entsetzt, irritiert und wütend über die aktuellen Afrika-Berichterstattungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Coronavirus-Pandemie massive Auswirkungen für Afrika haben kann, es ist aber erstaunlich zu beobachten, wie die mediale Afrika-Berichterstattung in Deutschland die gesellschaftliche Wahrnehmung durch ein pauschalisierendes Image Afrikas beeinflusst. Dieses immer gleichbleibende Image Afrikas zeichnet sich durch negative Assoziationen aus: Bürgerkrieg, Hungersnot, Krankheiten und Armut. Die dominanten medialen Präsentationen Afrikas mit ihrem undifferenzierten Blick führen dazu, dass Afrika nicht als ein großer Kontinent mit 55 verschiedenen Staaten und unterschiedlichen ethnischen und sozio-kulturellen Zugehörigkeiten, sondern zumeist als ein vergleichsweise winziges Land wie Luxemburg mit einer homogenen Kultur dargestellt wird.

Der europäische Kolonialismus lebt noch fort

Die bestehenden neokolonialen Ausbeutungsverhältnisse, die u.a. zur Folge haben, dass die afrikanischen Bevölkerungen für den Luxus des umweltzerstörerischen Konsumverhaltens Europas mit ihren Armutslagen bezahlen, werden in der Debatte über Afrika vorwiegend bewusst außer Acht gelassen. Vielmehr wird dabei den Menschen in Afrika unterstellt, dass sie nicht in der Lage seien, ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, indem die eigene westliche Zivilisation glorifiziert wird. Dadurch wird der ,,gute Wille“ legitimiert, den vermeintlich unterentwickelten Krisenkontinent durch Almosen aus dem großzügigen und barmherzigen Europa vor seinem Untergang zu retten. Dieser White Saviorism[1] dient jedoch nur als Alibi, in Afrika erneut zu intervenieren. Dabei wird zumeist implizit der Eindruck erweckt, dass Deutschland keinen erwähnenswerten Anteil an kolonialer Vergangenheit und aktuellen ausbeuterischen Unterdrückungsverhältnissen in Afrika hätte. Durch die Verdrängung der kolonialen Schuld wird die Hintertür geöffnet, um globale Ausbeutungsverhältnisse aufrechtzuerhalten.

Der von Europa ausgehende Kolonialismus hat immense Auswirkungen nicht nur auf die kolonisierten, sondern auch auf die kolonisierenden europäischen Gesellschaften. Die (post-)­kolonialen Kontinuitäten beeinflussen die Beziehungen verschiedener Gruppen und ihre gesellschaftlichen Positionen noch immer. Deutschland ist ein Einwanderungsland mit einer Kolonialgeschichte, auch wenn Positionen von Black and People of Color (BPoC)[2] in öffentlichen Diskursen kaum Beachtung finden. Stattdessen wird die gesellschaftliche Wahrnehmung im Zuge des erstarkenden Rechtspopulismus durch rassifizierende Zuschreibungen von BPoC kontaminiert.

Rassifiziertes Othering

Die machtvollen Afrika-Berichterstattungen haben für in Deutschland lebende BPoC weitreichende Konsequenzen, die durch rassifizierte Zuschreibungen der Dominanzgesellschaft permanent als anders und nicht-zugehörig konstruiert werden. Aufgrund dieses systematischen Rassismus erfahren BPoC vielfältige sozioökonomische Diskriminierungen sowie politisch-rechtliche Benachteiligungen. Dieses mediale rassifizierte Othering[3] stellt aber kein neues Phänomen für uns BPoC dar. Vielmehr ist die Praxis des rassifizierten Othering für die meisten BPoC in Deutschland allgegenwärtig. Diskriminierungserfahrungen und Racial Profiling[4] gehören für uns zum Alltag, die unsere Identitäten belasten.

Durch die Differenzzuschreibung von ,,wir“ und die ,,Anderen“ wird eine Realität geschaffen, in der wir aufgrund unserer vermeintlich eindeutigen und sichtbareren Identitäten als ,,anders“, nicht-zugehörig, und nicht-deutsch genug markiert werden, auch wenn wir seit Generationen in Deutschland leben. Bei dieser Form der Zwangsmigrantisierung geht es zumeist um kulturellen Rassismus. Auf simple, aber effektive Weise wird ein negatives Bild über BPoC produziert, welches unsere Handlungsfähigkeiten und heterogenen Identitäten ausblendet und uns zu einer homogenen ,,migrationsanderen“ Gruppen konstruiert.

Insgesamt ist zu betonen, dass die rassifizierenden Perspektiven der europäisch-westlichen Afrika-Berichterstattungen kritisch hinterfragt werden müssen, wenn eine Solidarität mit Afrika gelingen soll. Wirkliche transnationale Solidarität fußt auf wirklichem Verständnis ohne Bevormundung und White Saviorism. Zudem muss in der Debatte über Afrika vielmehr Raum für eine afrozentrische Perspektive geschaffen werden, um dem dramatisierten Image Afrikas entgegenzutreten und der verlorenen Stimme Afrikas ein gerechtes Gehör zu verleihen.

Hierfür ist es notwendig, zuallererst eine vernünftige Wiedergutmachung (reconciliation) der kolonialen Vergangenheit anzustreben und vor allem auf Augenhöhe miteinander in den Dialog zu treten, sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene. Wir Menschen lieben es, Differenzen zu finden und aufzuzeigen. Dabei haben wir jedoch viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Um den substantiellen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, sind in einer modernen, multikulturellen Gesellschaft gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung unserer Verschiedenheiten notwendig, anstatt darauf zu beharren, unsere Differenzen in ,,deutsch“ und ,,ausländisch“ zu dichotomisieren und zu hierarchisieren.

 

Robel Afeworki Abay ist Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin, am Institut für Rehabilitationswissenschaften und forscht über Teilhabe- und Verwirklichungschancen von People of Color (PoC) mit Behinderungserfahrungen im Kontext der Erwerbsarbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Deutschland.

 

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[1] White Saviourismus beschreibt einen Retter-Komplex. „White Savior“ (deutsch: Weiße Retter) werden privilegierte Weiße Personen genannt, die sich mit gut gemeinten Ideen aufmachen, um in „armen Schwarzen Gemeinden“ ein gutes Werk zu vollbringen. Dabei besitzen sie oft keine wirklich hilfreichen Qualifikationen wie medizinische Ausbildung oder Kenntnisse der Sprache und Kultur des Landes. In sozialen Netzwerken präsentieren sie sich häufig mit „armen Schwarzen Kindern“ als Held*innen. (Quelle z.B.: https://www.arte.tv/de/articles/white-saviorism-wenn-hilfe-nicht-hilfreich-ist?fbclid=IwAR0bOy7WTIl_H4s2nsJwpPZfX274GGoanRCJ-ebXrSnfYXCjbQqoTFLJFWU)

[2] Black and People of Color (BPoC) ist eine „Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrung, die nicht als weiß, deutsch und westlich wahrgenommen werden und sich auch selbst nicht so definieren.“ (Quelle z.B.: https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/people-of-color-poc/)

[3] Othering bezeichnet die Distanz zu anderen Gruppen, um seine eigene ›Normalität‹ zu bestätigen. Der Begriff wurde ursprünglich von Gayatri Spivak (1985) geprägt, um den Prozess zu beschreiben, durch den der imperiale Diskurs die Anderen markiert. Dabei geht es darum, sich selbst als positiv hervorzuheben, indem man einen anderen negativ oder andersartig beschreibt, das heißt aufgrund von Rasse, geographischer Lage, Ethik, Umwelt oder Ideologie als ›fremd‹ klassifiziert. (Quelle, z.B.: http://www.kulturglossar.de/html/o-begriffe.html)

[4] Von Racial Profiling spricht man, wenn zum Beispiel die Polizei Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrolliert, ohne dass es einen konkreten Anlass gibt. Es ist auch dann Racial Profiling, wenn das Aussehen einer von mehreren Anhaltspunkten für die Kontrolle ist. Quelle: https://mediendienst-integration.de/artikel/fragen-und-antworten-zu-racial-profiling.html, / https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/show/racial-profiling-menschenrechtswidrige-personenkontrollen-nach-22-abs-1-a-bundespolizeigesetz/

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