Mit der derzeitigen Corona-Pandemie ist die Welt gezeichnet von Unsicherheit und Angst die Welt in Atem hält und ein weitaus größeres Ausmaß angenommen hat als zu Beginn gedacht. Seit dem Ausbruch der Pandemie ist Berlin nicht mehr die Stadt, wie wir sie kennen. Denn normalerweise ist sie mit ihrem hektischen Verkehrstreiben, dem regen Austausch unter den Einwohnern und all den vielen Menschen, die als Touristen, zum Studieren oder Arbeiten hierherkommen, durch und durch lebendig. Diese Stadt, die normalerweise ständig unter Strom steht, ja die zu Lebenslust inspiriert, erscheint heute trostlos und traurig. Selbst während der Weihnachtszeit ließ sie an der alljährlichen fröhlichen Stimmung und an all dem vermissen, was zu dieser Zeit im Jahr dazugehört. Es war, als hätte die Krankheit die Stadt in den Würgegriff genommen und sie sich entschieden aufzugeben und leise zu werden. Die Stadt erschien leer, als ob Ausgangssperre über sie verhängt worden wäre.
Zwar flackerten hier und da ein paar einsame Weihnachtslichter, zum Beispiel in einigen Geschäftsauslagen oder auf den Balkonen, aber von den heiteren Zusammenkünften der Menschen war keine Spur, ebenso wenig von ihren Gesprächen, ihrem Lachen und der Freude, die normalerweise aufkommt, wenn man sich gemeinsam um den Tisch oder um das Feuer versammelt, um sich in den kalten Nächten unter dem Glanz der Lichter und der Weihnachtsbäume aufzuwärmen.
Am Weihnachtsabend schlenderte ich durch die Straßen meines Viertels. Ich wohne in Berlin-Mitte, nahe des Alexanderplatzes, der zur Weihnachtszeit mit Marktständen und Menschen normalerweise brechend voll ist und an dem es vor lauter Verkäufern, Sängern, Tänzern und Kinderkarussellen nur so wimmelt. Nicht jedoch an jenem Weihnachtsabend letztes Jahr: Der Platz war ganz und gar leer, bis auf einige wenige Menschen, die sich eiligen Schrittes wieder davonmachten, als ob sie vor dem fürchterlichen Anblick dieser dunklen Leere am Alexanderplatz flüchten wollten. Denn da war nichts, was leuchtete, außer der Polizeiwache und einigen Lichtern in den Auslagen der umliegenden geschlossenen Läden. Während ich also durch die Straßen spazierte, stieg eine wahnhafte Unruhe in mir auf, eine Mischung aus Entsetzen, ein wenig Furcht und dem Gefühl von Leere.
Diese Stadt lebt durch ihre Bewohner, ihr Lachen, ihre Gespräche, durch eine Atmosphäre der gegenseitigen Zuwendung und des Miteinanders, selbst wenn es nur ein flüchtiger Gruß beim Vorbeigehen ist. Enttäuscht ging ich schnell nach Hause zurück. Dabei verglich ich die Situation in der Stadt mit der, wie sie in den Jahren davor war: Der Unterschied war dramatisch, die Situation eine vollkommen andere. Vielleicht war es mit der Stadt ja wie mit der Natur: Sie litt unter der Strenge eines Winters, der seine Kälte über die Gesichter ausgebreitet hatte, sodass die Augen der Menschen nun in die Leere blickten. Es standen ihnen Fragen ins Gesicht geschrieben: Welche Tage mögen ihnen wohl bevorstehen? Wie würde das Leben nach der langen Zeit der Kontakteinschränkungen und Quarantäne aussehen? Wie sollten sie selbst, ihre Familie, Freunde, Bekannten künftig über die Runden kommen? Es sind Fragen, die von großer Ungewissheit geprägt sind.
Als Flüchtling, der noch immer Verwandte und Familie in seinem Heimatland hat, bin ich doppelt so sehr um die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Leute besorgt. Denn diese sind dort solch prekären Umständen ausgesetzt, dass es ihnen schon am Nötigsten zum Leben fehlt – Wasser, Strom, Essen, Medikamenten, Sicherheit und Schutz. Und so haben die Menschen freilich auch keine klare Strategie, um diese – sich dort bereits unkontrolliert ausgebreitete – Krankheit in den Griff zu bekommen.
Berlin wurde in der Vergangenheit immer wieder vom Unheil heimgesucht und dabei manches Mal vollkommen zerstört. Doch diese Stadt ist wie die Natur: Sie hat gekämpft, sich wieder aufgerappelt und danach umso bunter in allen Facetten des Lebens gestrahlt. Wie schon in der Vergangenheit wird sie auch diesmal von Neuem auferstehen. Der Frühling in Berlin wird in den Herzen seiner Bewohner erblühen, die Bäume werden wieder ergrünen, die Sonne der Hoffnung am Himmel scheinen, das Lachen und die Fröhlichkeit der Menschen die Stimmung beherrschen. Die Seele der Stadt wird sich in den Gesichtern ihrer Bewohner und Besucher glanzvoll widerspiegeln und Euphorie wird in der Luft liegen.
Auch wenn die Straßen Berlins im Moment noch betrübt und traurig anmuten, so werden sie doch bald den tristen Staub von sich abschütteln und wieder vor Lebendigkeit vibrieren – denn so ist Berlin!
Ins Deutsche übertragen von Melanie Rebasso
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