Wenn Kinder einander fertigmachen
Der neunjährige Rayan ist mit seiner Familie vor ungefähr drei Jahren nach Berlin gekommen. Aufgrund der schwierigen Umstände der Familie hatte er bis zu jenem Zeitpunkt mit Bildung nichts am Hut – er wurde weder eingeschult, noch war er auf irgendeine andere Weise mit dem Lernen vertraut.
Es war wohl seinem zarten Alter geschuldet, dass er noch nicht für das bereit war, was ihn in seiner neuen Heimat bald erwarten sollte: Er wurde eingeschult. In der Schule und im Umgang mit seinen Mitschülern fiel er durch sein sehr schüchternes Verhalten auf. Dies lag bestimmt vor allem daran, dass die Unterrichtssprache nicht seine Muttersprache war und er nur Grundkenntnisse darin hatte. Und so dauerte es auch nicht lange, bis Rayans Mitschüler anfingen, ihn ob seiner mangelnden Sprachkenntnisse zu verspotten und zu schikanieren. Ein solches Verhalten von Kindern liegt oft auch an deren Eltern, die Abneigung gegen andere in den Herzen ihrer Kinder schüren.
Die wiederholten verbalen Angriffe seiner Mitschüler und ihr Gelächter über ihn, wenn er Deutsch sprach, wirkten sich extrem negativ auf Rayans Psyche aus. Manchmal verletzen verbale Schikanen eben mehr als körperliche Angriffe. Rayans Mutter konnte kaum mit ansehen, wie sehr ihr Sohn unter der Situation litt. Seine schulischen Leistungen wurden zusehends schlechter, er war immer nur für sich allein und fürchtete sich, rauszugehen und sich unter die Nachbarskinder zu mischen. Eines Tages kam Rayan von der Schule nach Hause und kündigte entschlossen an, nie wieder in die Schule gehen zu wollen. Er hasste das Lernen und die Schule, denn er hatte Angst davor, wieder einmal gemobbt zu werden. Rayans Vater blieb also nichts anderes übrig, als in seiner Schule vorstellig zu werden und sich dort über die Situation zu beschweren – es ist wohl nur natürlich, dass Eltern ihre Kinder in Schutz nehmen. Beim Gespräch mit der zuständigen Schulsozialarbeiterin, die sich bemühte, in Ruhe eine Lösung für das Problem zu finden, forderte Rayans Vater, seinen Sohn in eine andere Klasse zu versetzen. Die Sozialarbeiterin war jedoch anderer Meinung: Die Versetzung Rayans in eine andere Klasse würde das Problem nicht lösen, da er den jetzigen Mitschülern womöglich noch immer in der Pause begegnen würde. Solange er sich seiner Angst nicht stellte, würde sein Leid weitergehen.
Daraufhin begleitete sie Rayan in seine Klasse und konfrontierte ihn mit jenen Klassenkameraden, von denen er gemobbt wurde. Sie forderte alle auf, einander zu respektieren und niemanden zu hänseln. In einigen Sitzungen mit Rayan und seinen Mitschülern machte sie ihnen außerdem klar, wie verletzende Worte unbeabsichtigt dazu führen können, dass sich andere gekränkt fühlen. Die Sozialarbeiterin bat Rayans Eltern noch, ihn zu Hause zu bestärken und an seiner Seite zu stehen, so dass er wieder Selbstvertrauen gewinnt.
Das Ganze liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Heute spricht Rayan fließend Deutsch und hat viele Freunde aller möglichen Nationalitäten. Diese Geschichte ist eine von vielen, deren Held einst ein Opfer von Mobbing war.
Von Mobbing spricht man, wenn wiederholt schikanöses Verhalten angewendet wird, das darauf abzielt, einer anderen Person absichtlich körperlichen und psychischen Schaden zuzufügen. Es zeichnet sich durch bestimmtes Individualverhalten aus, mit dem Macht über eine andere Person ausgeübt werden soll. Mobbing kann überall auftreten, wo Menschen miteinander zu tun haben, zum Beispiel in der Schule, am Arbeitsplatz, zu Hause, im Wohnviertel. Auch unter den Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen, Gesellschaftsschichten und sogar verschiedener Länder kommt es zu Mobbing. Daher sehen sich nicht selten Menschen, die in ihrer Heimat Opfer von Mobbing oder Diskriminierung sind, dazu gezwungen, ihr Land zu verlassen. In Deutschland gibt es ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit oder der sexuellen Identität verbietet. Auch vonseiten des Arbeitgebers und in den Schulen wird hierzulande häufig explizit darauf hingewiesen, dass diskriminierendes und schikanöses Verhalten nicht gestattet ist. Es gibt hier auch viele Beratungszentren, die sich dem Kampf gegen diese Phänomene widmen. Zudem liegt es in der Verantwortung der Eltern, mit ihren Kindern über das Thema Mobbing zu sprechen und dem Phänomen dadurch Einhalt zu gebieten.
Ins Deutsche übertragen von Melanie Rebasso