„Ich gehöre jedem Ort auf dieser Erde an“

Asambura

Alaa Zaitounah ist als Oud-Spieler beim Asambura-Ensemble dabei, das mit der Aufführung von KALEIDOSCOPIA einen neuen vielfarbigen Zyklus kreiert hat. Mittels Musik, Tanz, Licht sowie Video- und Klanginstallationen reflektiert es die Themen Nähe und Distanz und tritt in einen Dialog mit Erinnerungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Generationen. Nach der vielschichtigen Konzert-Perfomance-Collage in der Berliner Parochialkirche stand er uns im Sommer 2021 für ein Interview zur Verfügung.

Was ist dein Eindruck vom heutigen Konzert?
Wir traten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen auf, und es verlief sehr gut. Heute war das Konzert sogar noch besser als gestern, weil die Musiker souveräner und weniger nervös waren als bei der ersten Vorstellung. Soweit ich es mitbekommen habe, hat es großen Anklang im Publikum gefunden. Ich konnte nämlich sehen, wie die Menschen Anteil nahmen, denn ich saß hinter dem Publikum – weil wir über den ganzen Saal verteilt aufgestellt waren – und habe bei drei der insgesamt acht Stücke mitgewirkt. Da war ich sozusagen oft selbst Zuschauer und konnte das Konzert aus Sicht des Publikums erleben. Und obwohl ich bei den Proben dabei war, weckte es neue Emotionen in mir, die ich vorher so nicht verspürte. Ich konnte die Bedeutung dieses Werks vollumfänglich realisieren und erkannte, wie einzigartig diese Darbietung war – mit ihrer Harmonie zwischen der Musik, den Tänzern und dem Video, das an die Wand projiziert wurde. Das Ineinandergreifen und Zusammenwirken dieser Elemente schuf eine gefühlvolle Atmosphäre, die ganz dem thematischen Rahmen von Nähe, Ferne und Erinnerungen entsprach.

Wie vermittelt die Musik ein solches Quantum an aufgewühlten Emotionen auf simple, unparteiische und verständliche Weise?
Heute wurde mir als Zuschauer durch die Musik, die Tänzer oder die in verschiedenen Sprachen an die Wand projizierten Texte bewusst, wie sehr meine Emotionen durcheinander und mit meinen Erinnerungen an mein Land, mein Dorf und die Straßen behaftet sind, auf denen ich früher spazierte und gerne Leute traf, wie sehr sie mit meinen Erinnerungen an meine Mutter und meine Familie zusammenhängen. Das Thema war sehr emotional, und genau das war einer der Gründe, die mich zur Arbeit mit Asambura bewogen haben. Hier arbeitet man mit tiefgründigen Themen. Es geht nicht bloß um Musik, sondern um Musik mit geistigem Hintergrund.

Euer Konzert fand in einer der ältesten Kirchen Berlins statt. Welche Bedeutung hat der Ort des Konzerts, und warum wurde dafür nicht ein Ort gewählt, der nicht religiös konnotiert ist?
Der Grund, weshalb wir uns für die Kirche entschieden haben, war ihre schöne runde Konstruktion, die unserem Konzert insofern zugutekam, als die Musikinstrumente hier in alle Richtungen verteilt aufgestellt werden konnten. So konnten die Klänge mehrdimensional wirken. Zusätzlich ist die Kirche durch den Krieg in Teilen zu einer Ruine zerstört worden und transportiert hierdurch einen wichtigen Gedanken von KALEIDOSCOPIA – die fragile Erinnerung an etwas Vergangenes. Der Gedanke hinter Asambura ist es, Kulturen und insbesondere Religionen zusammenzubringen, das ist das zentrale Ziel des Ensembles. Wenn sich die Möglichkeit bietet, an anderen religiösen wie islamischen oder jüdischen Orten aufzutreten, wären wir dafür sehr dankbar, zumal wir dadurch Zweck und Idee hinter unseren Konzerten einmal mehr realisieren könnten.

Könntest du uns etwas über deine Anfänge beim Asambura-Ensemble erzählen?
Seit ungefähr drei Jahren bin ich beim Asambura-Ensemble mit dabei. Maximilian Guth, der künstlerische Leiter des Ensembles, besuchte ein Konzert von mir, auf dem ich gemeinsam mit anderen deutschen, russischen und syrischen Musikern arabische Werke durch eine Neuinterpretation vorgestellt habe – im Versuch, die nahöstliche Musik mit der westlichen Musik in einer speziellen, farbenreichen Klangfärbung miteinander zu verschmelzen. Danach kam er auf mich zu und hat mich eingeladen, beim Ensemble mitzumachen. Mein erstes Projekt mit dem Asambura-Ensemble war die Aufzeichnung der CD „Fremd bin ich eingezogen“. Das Projekt verbindet Schuberts Winterreise mit persischer Lyrik und Musik zu einem neuen Zyklus über Einsamkeit. Es wurde im Dezember 2020 als Album des Monats im Bayerischen Rundfunk ausgezeichnet und war für den OPUS KLASSIK-Preis 2021 nominiert– es war also sehr erfolgreich. Darauf folgte mein zweites Projekt mit dem Ensemble: LUX PERPETUA, eine Neukomposition unseres künstlerischen Leiters Maximilian Guth, die Mozarts Requiem in Verbindung mit nahöstlichen Musiktraditionen zu einem neuen Zyklus deutet. Es geht um das Leben nach dem Tod, das ewige Licht und die Dimensionen von Ewigkeit in Auseinandersetzung mit Mozarts berühmtem Requiem. Auch dieses Projekt war von großem Erfolg.

Du hast in Syrien ein Orchester geleitet. Was hast du aus dieser früheren persönlichen Erfahrung für deine Arbeit bei Asambura mitgenommen?
Wir waren zunächst eine Gruppe von jungen Musikern, die in einer Art Sommerakademie in meinem Dorf im syrischen as-Suwaida zusammenkamen. Daraus entwickelte sich ein nahöstliches Orchester mit einem Einschlag westlicher Klassik. Dadurch konnte ich größere Erfahrung bei der musikalischen Orchestrierung nahöstlich-westlicher Musik sammeln. Diese Erfahrung kam mir wiederum im Asambura-Ensemble bei der Vorbereitung der Orchestrierung einiger nahöstlicher Stücke zugute.

Auf deiner YouTube-Seite steht, dass du – als Geophysiker –weder an die Geografie noch an Geschichte oder Religion glaubst und Musik das Einzige sei, das eine perfekte Welt beschreiben könne. Welche Botschaft möchtest du damit übermitteln?
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich alle Religionen respektiere, und das ist eines der grundlegenden Dinge, die mich mit Asambura verbinden – der Respekt gegenüber den Kulturen und Religionen. Eines der zentralen Anliegen des Asambura-Ensembles ist es, Religionen und Kulturen zusammenzubringen. Dass ich keiner bestimmten Religion oder Kultur angehöre, ist nicht als Atheismus oder Ablehnung von Religionen zu verstehen – ganz im Gegenteil. Meiner Ansicht nach haben diese kategorischen Einteilungen – in Form geografischer oder historischer Grenzen oder religiöser, konfessioneller Einteilungen – die Menschen in ihrer Schönheit, die über allen Kategorisierungen steht, eingeschränkt. Gott hat dieses Universum mit einer solchen Harmonie geschaffen, er hat keine Grenzen oder Gesetze festgelegt. Wir Menschen waren es, die uns selbst in verschiedene Rassen und Religionen eingeteilt haben. Ich als Mensch habe das Recht, überall zu leben, weil ich jedem Ort auf dieser Erde angehöre.

 

Ins Deutsche übertragen von Melanie Rebasso

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: العربية (Arabisch)

Geschrieben von
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