Erstaunliche Neuigkeiten von Zarathustra
Schon von weitem erkennt der Reisende auf dem Weg in die iranische Oasenstadt Yazd zwei aus Lehm und Bruchstein erbaute Türme. Es sind stumme Zeugen von Bestattungsritualen der vorislamischen Religion Zarathustras, die bis heute in Iran und Indien praktiziert wird. In der abgeschiedenen Wüste in Zentraliran entstand zur Zeit der Sassaniden-Dynastie vor rund 2000 Jahren eines der wichtigsten geistigen Zentren Zarathustras. Zahlreiche vorislamische Religionen Irans kamen im Wesentlichen den Gottesvorstellungen der Inder des zweiten bis ersten Jahrtausends vor Christus gleich.
Ähnlich alter Wachttürme, erheben sich die beiden sich gegenüberliegenden Türme (persisch: Dakhmeha, Türme des Schweigens) inmitten der großen Wüsten nahe Yazd. Auf diesen Türmen haben die Priester dieser altiranischen Religion die kultischen Handlungen vorgenommen, die Flamme des ewigen Feuers als Symbol des Guten und der Reinheit gehütet und die Toten auf einem Steinaltar den Aasgeiern zum Fraß ausgesetzt. Feuer, Erde, Wasser und Luft sind heilige Elemente, müssen daher reingehalten werden, und somit wurden Leichen weder beerdigt noch verbrannt. 1970 allerdings verbot der letzte Schah aus hygienischen Gründen dieses Bestattungsritual, weil Geier wohl während ihres Flugs über die Stadt Leichenteile fallen ließen. Von nun an wurden die gereinigten Gebeine in Betonsärgen auf Friedhöfen bestattet, um die Erde nicht zu verunreinigen. Oft werden die Zarathustra-Anhänger auch Feueranbeter genannt, deren Tempelanlagen (Ateschkadeh) hauptsächlich in Yazd und Kerman zu finden sind. Sie gelten als großzügige, aufrichtige und ehrliche Menschen und stifteten u. a. auch den Feuertempel in Yazd.
Zarathustra wurde um 630 v. Chr. wahrscheinlich im heutigen Gebiet von Balkh in Nord-Afghanistan geboren und als Angehöriger einer Priesterkaste zum Priester (zaotar) ausgebildet. Er verbreitete in der Zeit der altiranischen polytheistischen Religion mit der obersten Gottheit Ahura Mazda und der Göttin Anahita erstmalig eine monotheistische Lehre mit dem alleinigen Herrn der Weisheit Ahura Mazda. Dieser steht für das Gute, das Licht. Der Gegenpol heißt Ahriman und steht für das Böse und die Finsternis. Entscheidet sich der Mensch für das Gute, kommt er in das Paradies, ansonsten in die Hölle. Daher lauten die drei wichtigsten Grundsätze der zoroastrischen Lehre, die heute nur noch in Teilen im Heiligen Buch, dem Avesta, erhalten sind:
„Gut denken, gut reden, gut handeln!

Zarathustra teilt das Schicksal vieler Propheten, die zunächst in ihrem Land nicht akzeptiert wurden. Er kämpfte lange gegen die alte polytheistische Volksreligion an und floh schließlich um 590 vor Christus mit seiner Anhängerschaft in den Osten Irans, der heutigen Provinz Khorasan.
Dort verehrte er im monotheistischen Sinne den Gott Ahura Mazda unter freiem Himmel, im hellen Tageslicht. Die Verkündung seiner Religion, auch wegen der Landschaft Parsa, also der südiranischen Provinz Fars, Parsismus oder wegen des Gottes Ahura Mazda auch Mazdaismus genannt, verbreitete sich in Windeseile. Die altiranische Dynastie der Achämeniden (559 bis 330 v. Chr.) unter Kyros dem Großen haben diese Lehre anerkannt und gefördert. Doch mit dem Eindringen der Araber in den Iran im 7. Jahrhundert nach Christus und der Verbreitung des Islam flohen viele Iraner zoroastrischen Glaubens in die Abgeschiedenheit der Wüste, und die Lehre Zarathustras verlor immer mehr Anhänger.
Vollends konnten sie ihrem Glauben nur in der Auswanderung nachgehen. So zogen im 8. Jahrhundert die Parsen nach Indien, wo heute noch ca. 60.000 Anhänger leben. Die Gesellschaft für Bedrohte Völker spricht in einem Bericht von 2007 (https://www.gfbv.de/de/news/zoroastrier-im-iran-1102/) von ca. 30.000 Zarathustra-Anhängern in Iran.
Weltweit liegen die Schätzungen zwischen 150.000 und 300.000 Anhängern. Während ich nach über 40 Jahren der Islamischen Revolution in Iran weiter zu diesen Zahlen von 1979 recherchierte, stieß ich mit Erstaunen auf eine niederländische Studie der Universitäten Utrecht und Tilburg von 2020: „Iranians’ Attitudes toward Religion: A 2020 Survey Report“, wonach die Islamische Republik Iran keine mehrheitliche islamische Bevölkerung mehr hat.*
http://*https://gamaan.org/wp-content/ uploads/2020/09/GAMAAN-Iran-ReligionSurvey

Verwundert vertiefte ich mich in diese Studie.
Dort heißt es: Von den rund 40.000 Befragten zählen sich 32,2 % zu schiitischen Muslimen, dann folgen 22 % der „Nones“, also diejenigen, die sich zu keiner Religion bekennen.
Es folgen 8,8 % Atheisten, 7,7 % Zarathustra-Anhänger, 7,1 % Spirituelle, 5,8 % Agnostiker. Zu den kleineren Gruppen zählen 5 % Sunniten, 3,2 % Sufis, 2,7 % Humanisten, und zu den kleinsten Einheiten gehören Christen, Bahai, Juden und sonstige Gruppierungen. Diese Ergebnisse haben mich wirklich überrascht, nicht zuletzt auch, weil die offiziellen Studien der iranischen Regierung eine andere Sprache sprechen und 99,4 % Schiiten angeben. Liest man sich aber die Vorgehensweise und die Analysen dieser Studie genau durch, erklären sich diese Ergebnisse logisch, denn vor allem anonym und über die sozialen Netzwerke haben die beiden Forscher Ammar Maleki von der Universität Tilburg und Pooyan Tamimi Arab, Religionswissenschaftler der Universität Utrecht, 40.000 Regierungstreue wie Oppositionelle befragt. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich diese Tendenz zu weiteren diversen Religionen bzw. Religionslosigkeit fortsetzen wird. Nicht zuletzt entdecken viele Nationalisten Irans in der Lehre Zarathustras wieder ihren ursprünglichen Glauben – wohl auch deshalb, weil die als fremd und arabisch empfundene Religion des Islam in den vergangenen 40 Jahren der Islamischen Republik in Misskredit geraten ist. Auf diesem Weg sind für mich die Türme des Schweigens von Yazd zur Offenlegung einer neuen Wirklichkeit geworden.