Wieder am Strand 

 

Ein Abschluss 

Vor sieben Jahren, im November 2015, waren wir schon einmal an diesem Strand. Wir kamen mit einem Schlauchboot mit 35 Leuten von Bodrum aus der Türkei an und hatten nur das Ziel, die Küste zu erreichen. Ansonsten hatten wir damals kein bestimmtes Ziel. Geflüchtete beginnen ihre Träume erst weiter zu träumen, nachdem sie das Meer und seine Schrecken überquert haben, denn für sie ist das Meer ein Friedhof aus Leichen und Träumen.  

Mit verängstigten Herzen und tränenreichen Augen haben wir das Meer vor mehr als sechs Jahren überquert, blickten hoffnungsvoll und mutig auf die Küste, und sobald der Bug des Bootes das Land berührte, änderten sich die Gesichter, die Herzen schlugen wieder ruhig, und die Gedanken begannen die Reise zu planen, die gerade erst begonnen hatte.

Wir stehen heute wieder hier, nachdem wir für unseren ersten Jahresurlaub mit dem Flugzeug aus Berlin angekommen sind.

Auf der Insel Kos hatten wir uns zunächst ein Flüchtlingsdokument besorgt. Danach setzten wir unseren Weg nach Deutschland fort, eine Reise zu Fuß, mit Taxen, Zügen und Bussen, die etwa 45 Tage dauerte. Nach fast sieben Jahren, die wir mittlerweile in Berlin verbracht haben, um die Sprache zu lernen, zu arbeiten und eine Familie zu gründen, kehren wir heute auf die Insel zurück. Damit schließen wir selbst unsere Asylakte, obwohl sie offiziell von den zuständigen Behörden schon in dem Moment geschlossen wurde, als wir das Aufenthaltsrecht in Berlin erhielten. Heute schließen wir bewusst diese Seite unseres Lebens, die nur traurige Erinnerungen enthält.

Die Idee, auf die Insel zurückzukehren, brauchte etwas Mut. Seit wir uns aufs Meer begaben, hatten wir Erinnerungen an das Schlauchboot und die Kälte sowie die Angst vor dem Ertrinken und dem unbekannten Schicksal. Wie viele Syrer, erinnern wir uns, sobald wir das Wort Griechenland hören, an den Weg ins Asyl und die damit verbundenen Ängste, Schwierigkeiten und Gefahren, die wir durchgemacht haben.

Wir beschlossen, auf die Insel zurückzukehren, um neue Erinnerungen zu schaffen, die uns helfen würden, diese Reise zu vergessen und zu mehr psychologischer Stabilität für uns beizutragen. Dieses Mal sind wir mit unseren beiden Kindern gereist, mit unserer Tochter Maria, die bei unserer ersten Fluchtreise im Bauch ihrer Mutter dabei war und heute sechseinhalb Jahre alt ist, und mit unserem Sohn Humam, der dreieinhalb Jahre alt ist.

Am zweiten Tag der Reise sind wir an den Strand gegangen, den wir vor Jahren erreicht hatten, haben uns so hingesetzt, dass wir die Lichter der türkischen Stadt Bodrum aus der Ferne sehen konnten, und uns an diese Zeit erinnert. Und ich erzählte Maria von dem, was wir vor sieben Jahren erlebt haben, von unserer Reise und den Gesichtern der Menschen, die mit uns im Schlauchboot waren. Aber meine Augen waren während des Gesprächs auf das Meer gerichtet. Vielleicht erspähe ich zufällig ein neues Boot für Geflüchtete, die zum Überleben bestimmt waren? Dann könnten wir ihnen sogar mit ein wenig Wasser aushelfen, das meine Frau unbedingt mit an den Strand bringen wollte, weil Trinkwasser das erste ist, was Überlebende des Meeres brauchen. 

Wir haben zwei Stunden gewartet und niemanden gesehen, also haben wir die Wasserflaschen mit Wünschen und Gebeten für alle, die ans Meer gehen oder daran denken, es zu befahren, am Strand gelassen.

Letztes Mal haben wir eine Woche auf dieser Insel verbracht und dieses Mal auch. Aber mit einem Unterschied in Orten, Aktivitäten, Fotos und neuen Erinnerungen ersetzten wir den felsigen Strand, an dem wir ankamen, durch einen sandigen. Wir legten uns darauf und – anstatt im Freien zu schlafen – übernachteten jetzt in einem Hotel. Wir dachten nicht an den Weg nach Berlin, denn Flugtickets hatten wir jetzt im Voraus gebucht und mussten nicht anderthalb Monate reisen, um Berlin zu erreichen.

Während unserer Inselrundfahrt haben uns viele Leute gefragt, woher wir kommen. Maria antwortete einfach: „Aus Berlin“, eine kurze Antwort, die keiner großen Erklärung bedarf, da sie kein anderes Land als Deutschland kennt. Unter so vielen deutschen Touristen auf der Insel haben wir die deutsche Sprache in Restaurants oder an den Stränden und in öffentlichen Verkehrsmitteln gehört und fühlten uns beruhigt, als würden wir unsere Muttersprache hören, und dieses Gefühl kann ich nicht näher erklären.

Wir flogen zurück nach Berlin, in eine Stadt, deren Straßen und öffentlichen Verkehrsmittel wir kennen. Wir kennen ihre Sprache und Kultur. Wir haben Freunde, Kollegen und Nachbarn. Heute können wir sagen: „Deutschland ist Heimat für die, die keine Heimat haben.“

 

Ins Deutsche übertragen von Hareth Almukdad.



 

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: العربية (Arabisch)

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